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Marvin Schulte – Verbesserte Beschleunigung eröffnet neue Möglichkeiten

Einige junge Aufsteigerinnen und Aufsteiger, ein Außenseiter, aber auch Athletinnen und Athleten, die schon seit Jahren zur DLV-Spitze zählen, haben bei den Deutschen Meisterschaften in Braunschweig im zurückliegenden Sommer ihren ersten Titel auf nationaler Ebene gewonnen. Wir stellen sie vor, heute Sprinter Marvin Schulte (SC DHfK Leipzig).
Jan-Henner Reitze

Marvin Schulte
SC DHfK Leipzig

Bestleistung:

100 Meter: 10,18 sec (2019)

Erfolge:

Fünfter U23-EM 2019 (100 Meter)
U23-Europameister 2019 (Staffel)
Bronze U20-WM 2018 (Staffel)
U18-Europameister 2016 (100 Meter)
Deutscher Meister 2021

Seit seinem überraschenden Sieg bei der Premiere der U18-EM in Tiflis (Georgien) im Jahr 2016 zählt Marvin Schulte zu den großen Nachwuchshoffnungen im Männersprint. Kontinuierlich entwickelte sich der Leipziger seitdem immer weiter. Schon im Alter von 20 Jahren war er 2019 erstmals bei einer WM in der Männerklasse in Doha (Katar) in der Staffel im Einsatz.

Der Schlüssel dazu, dass er im zurückliegenden Sommer erstmals zum DM-Titel bei den Männern über 100 Meter stürmen konnte, liegt in der vorangegangenen Hallensaison, beziehungsweise dem schwierigen Corona-Jahr 2020. Das nutzte der Sprinter, um an seinen Defiziten im Kraftbereich und der Beschleunigung zu arbeiten.

Seine bereits große internationale Erfahrung hat den 22-Jährigen früh zu einem aufgeräumten Athleten gemacht. Das hat ihm auch geholfen, einen Rückschlag in diesem Sommer zu verarbeiten. Bei den Olympischen Spielen in Tokio (Japan) verhinderte eine Magenverstimmung am Nachmittag vor dem Vorlauf den ersten Auftritt auf der größten Bühne, die es in der Leichtathletik gibt.

„Klassischer“ Werdegang über Sportschule und Nachwuchs-Kader

Den Weg in die Leichtathletik fand Marvin Schulte im Alter von acht Jahren über eine Klassenkameradin aus der Grundschule, deren Eltern mit denen des heutigen Leistungssportlers befreundet waren. „Die haben zu meinen Eltern gesagt: Schickt euren Sohn mal mit. So bin ich zum SV Lindenau in Leipzig gekommen“, erzählt der Sportsoldat. „Dort habe ich zwei Jahre trainiert und bin dann im Alter von zehn Jahren auf die Sportschule und zum LAZ Leipzig gewechselt.“

Zuerst war das Training noch breit angelegt, neben Schnelligkeit standen auch Hochsprung, Weitsprung oder Hürdensprint auf dem Plan. Der Finaleinzug bei seiner ersten Jugend-DM 2015 in Jena über 100 Meter der U18 war der Moment, in dem erstmals klar wurde, dass die Leichtathletik zu mehr als einem Hobby werden könnte. Unter Trainer Knut Iwan rückte zu diesem Zeitpunkt außerdem der Sprint in den Mittelpunkt.

Ohne große Erwartungen, dagegen mit einer ordentlichen Portion Nervosität, schlüpfte der Nachwuchsathlet dann nur ein Jahr später erstmals ins Nationaltrikot. Bei der Premiere der U18-EM in Tiflis legte er 2016 in jedem der drei Rennen eine Bestzeit hin und gewann im Finale in 10,56 Sekunden völlig überraschend die Goldmedaille. „Ich weiß auch nicht genau, wie ich das geschafft habe. Es lief einfach“, blickt Marvin Schulte zurück. Mit diesem Erfolg war endgültig der Gedanke gefasst, eine Karriere in Richtung Leistungssport anzustreben.

2019 schon ein sehr erfolgreiches Jahr

Mit Staffel-Bronze bei der U20-WM in Tampere (Finnland) gelang 2018 der nächste Medaillencoup bei großen Nachwuchsmeisterschaften, der aber auch für die große Konkurrenz auf nationaler Ebene steht. Einen Einzel-Titel bei einer Jugend-DM gewann Marvin Schulte nie. Erst bei der U23-DM 2019 in Wetzlar stand er erstmals national ganz oben, damals in windunterstützen 10,12 Sekunden. Das Jahr war insgesamt von Erfolgen geprägt.

Gemeinsam mit dem Deutschen Hallenmeister und -Rekordler Kevin Kranz (Sprintteam Wetzlar), seinem Trainingspartner und Deutschen Meister von 2020 Deniz Almas (VfL Wolfsburg) sowie Philipp Trutenat (TV Wattenscheid 01) unterstrich Marvin Schulte mit Staffel-Gold bei der U23-EM, dass eine starke Sprinter-Generation heranwächst. Als Fünfter im Einzel knüpfte er außerdem an seinen frühen Erfolg als U18-Europameister an. Zur Krönung folgte der erste Einsatz in der DLV-Männerstaffel bei einer WM, die trotz schneller 38,24 Sekunden im Vorlauf von Doha den Endlauf verpasste.

Wechsel in Trainingsgruppe von Ronald Stein  

Längst auf ihn aufmerksam geworden war da schon der Leitendende Sprint-Bundestrainer Ronald Stein, der Marvin Schulte 2018 in seine Gruppe holte. Seitdem wird er federführend von Alexander John und Sven Knipphals betreut, die damals gerade ihre aktive Karriere beendet hatten. Zur Trainingsgruppe gehören neben Deniz Almas etwa auch Hürdensprinter Gregor Traber (LAV Stadtwerke Tübingen) oder Hürdensprinterin Anne Weigold (LG Mittweida).

„Wir ergänzen uns im Training sehr gut. Jeder hat seine Stärken: Im Krafttraining, den Läufen oder am Start. Die jeweils anderen tun alles, um mitzuhalten. So profitieren wir voneinander“, erzählt Marvin Schulte von seinem Trainingsalltag. „Der Teamaspekt spielt bei uns eine wichtige Rolle.“

Erste 30 Meter verbessert – Grundlage für noch schnellere Rennen gelegt

Im für alle schwierigen Corona-Jahr 2020 entschieden Marvin Schulte und sein Trainerteam frühzeitig, lieber an Defiziten im Kraftbereich zu arbeiten als noch eine möglichst gute Sprintleistung zu generieren. So reichte es in der dann doch noch ausgetragenen „Late Season“ zwar nicht für den Einzug ins DM-Finale, dafür wurde aber die entscheidende Grundlage für die Fortschritte dieses Jahres gelegt.

„Ich habe an Athletik und Core-Stabilität gearbeitet und konnte von einem verbesserten Niveau aus in die Vorbereitung auf 2021 starten“, erzählt der 100-Meter-Spezialist. Das machte sich in der ersten ernsthaften Hallensaison seit 2017 deutlich bemerkbar. Seine bis dato stehende Bestzeit (6,91 sec) steigerte er um knapp drei Zehntel bis auf 6,64 Sekunden als Fünfter im Finale der Hallen-DM. „Die Beschleunigungsphase auf den ersten 30 Metern ist spürbar besser geworden. Davon profitiere ich dann auch im weiteren Verlauf des Rennens, in den ich mit einem ganz anderen Speed reinkomme.“

Starker Sommer mit einem Wehrmutstropfen bei Olympia

Diesen Schwung nahm der 22-Jährige mit in den Sommer und brachte ihn auch über die 100 Meter. So wurde in Braunschweig in 10,19 Sekunden der erste DM-Titel bei den Männern möglich. „Ich konnte gut auf den Punkt peaken und meine Form halten.“ Auch die Nominierung für das Staffel-Team bei den Olympischen Spielen war nach den gezeigten Leistungen sicher.

Eine Magenverstimmung ausgerechnet am Tag vor dem Vorlauf in Tokio machte dem ersten Auftritt auf der Olympia-Bühne dann aber zu Nichte. Obwohl sich am nächsten Morgen wieder alles wie vorher anfühlte, rückte Lucas Ansah-Peprah (Hamburger SV) ins DLV-Quartett, der dann auch im Finale antrat und mit auf Rang sechs lief.

„Es war nicht ganz klar, ob ich zu 100 oder zu 98 Prozent fit bin“, blickt Marvin Schulte mittlerweile sehr aufgeräumt auf diese schwierige Situation zurück. „In den ersten Tagen hat es mich sehr geärgert, dass ich nicht laufen konnte. Das hat sich dann gelegt. Wenn es gut läuft, habe ich noch bis zu dreimal die Chance auf einen Olympiaeinsatz.“ 

Stärken ausbauen, Schwächen ausmerzen

Finanziell abgesichert ist Marvin Schulte als Mitglied der Sportfördergruppe der Bundeswehr. Beruflich kann er sich gut vorstellen, sich als Video-Creator selbstständig zu machen. Sportlich möchte er den eingeschlagenen Weg weitergehen. „Die Stabilität in Bauch, Rücken und Rumpf kann während der Stresssituation des Sprintens noch besser werden. Aber auch meine Stärke, die Schrittlänge, über die ich als schlanker Sprintertyp komme, ist ein Punkt, an dem ich weiter arbeite.“

Schon gut gelingt es ihm mittlerweile, sich von großer Kulisse oder Druck bei Wettkämpfen nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. „Ich war früher immer sehr aufgeregt. Das gehört immer noch ein bisschen dazu. Aber ich schaffe es jetzt, mich auf meine Ziele im Rennen zu konzentrieren und was ich technisch umsetzen will. Die Abläufe sind so automatisiert, dass sie auch in diesen Momenten funktionieren.“

Das möchte Marvin Schulte auch bei der Heim-EM in München 2022 unter Beweis stellen, gerne auch mit einem Einzelstart. Die WM in Eugene (USA) ist ebenso ein Ziel, erst einmal mit der Staffel. „Vor allem aber freue ich mich auf das kommende Jahr und bin gespannt, was es bringen wird.“

Video-Interview: Marvin Schulte: "Ich würde gern in die Liga von Deniz laufen"
Video: Marvin Schulte: Cool geblieben und Sprint-Gold geholt

Das sagt der Chef-Bundestrainer Sprint Ronald Stein:

„Marvin ist 2019 Deutscher U23-Meister geworden. Das kam überraschend. Im Corona-Jahr 2020 hat er mental etwas durchgehangen. Es gab kein klares Ziel, das ist nicht sein Ding. Dieses Jahr war er schon in der Halle gut, er hat sich in der Beschleunigung extrem verbessert. Daran hatten wir auch gearbeitet. Das konnte er mit in die Freiluftsaison nehmen. Die 10,19 Sekunden im DM-Finale bei nicht optimalen Bedingungen in Braunschweig waren stark. Er hatte im zurückliegenden Sommer kein Rennen unter den allerbesten Bedingungen. Für die kommenden Jahre ist Marvin ein Kandidat, der 10,10 und schneller laufen kann. Im nächsten Jahr ist ein Einzelstart bei der EM in München erreichbar. Die Norm liegt bei 10,16 Sekunden.

Von Natur aus und durch seine Körpergröße liegen Marvins Stärken im fliegenden Bereich und Maximalsprint. Das war schon in der Jugend so und wir forcieren es. Reserven hatte er am Start und in der Beschleunigung. Da ist ihm in diesem Jahr ein Leistungssprung gelungen. Wir werden dran bleiben. Potenzial steckt auch noch im Last-Kraftverhältnis. In den Staffelrennen hat Marvin auf der Schlussgeraden schon sehr gute Rennen gezeigt. Er ist sehr verlässlich, was die Wechselgenauigkeit angeht. 

Marvin ist ein ruhiger und fokussierter Typ. Wenn es in Richtung Wettkampf geht, kann er sich pushen und am anvisierten Tag abliefern. Das macht es im Trainingsprozess einfach, ihn zu führen.“

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