| Rückspiegel

Mein Moment 2021: Emotionale Hallen-DM der Menschlichkeit

Es müssen nicht immer Rekorde oder Medaillen sein – manchmal sind es die stillen Momente, besonderen Beziehungen oder außergewöhnlichen Geschichten, die im Sport besonders in Erinnerung bleiben. In der Reihe "Mein Moment" teilen einige der leichtathletik.de-Autorinnen und -Autoren diese Erinnerungen mit uns. Heute: Szenen am Rande der Deutschen Hallenmeisterschaften.
Svenja Sapper

Die Leichtathletik hat mir im Jahr 2021 nicht nur einen, sondern viele Gänsehautmomente beschert. Es war ein langes Jahr, das am 5. Januar mit einem Porträt über zwei Nachwuchsathleten begann und am 31. Dezember mit der Berichterstattung von den Silvesterläufen enden wird. Und das Wichtigste: Endlich wieder Wettkämpfe, nachdem im Vorjahr ein Großteil der Freiluftsaison der Corona-Pandemie zum Opfer gefallen war! Viele erinnerungswürdige Meisterschaften, Meetings und Interviews habe ich Revue passieren lassen, als ich darüber nachdachte, was nun eigentlich „mein Moment“ des Jahres war.

Unvergesslich die Olympischen Spiele in Tokio: Die erste Leichtathletikmedaille für Kristin Pudenz (SC Potsdam), die ich schier ungläubig und mit Gänsehaut während der Rückfahrt von den Deutschen Jugendmeisterschaften auf einem kleinen Handy-Bildschirm Wirklichkeit werden sah. Da war der goldene Sprung, der letzte Weitsprung-Versuch von Malaika Mihambo (LG Kurpfalz), der ihr Gold bescherte und mir morgens um 5:13 Uhr zu Hause vor meinem Fernseher einen Freudenschrei entlockte. Meine feuchten Augen, als ich wenige Tage später beim Schreiben der Tageszusammenfassung ein weiteres Mal das bewegende Interview mit Geher Jonathan Hilbert (LG Ohra Energie) nach dem Gewinn seiner Silbermedaille sah.

Auch über den 12. September hätte ich schreiben können, jenen Tag, an dem sich für mich im Berliner Olympiastadion ein Kreis schloss: Zwei Jahre zuvor hatte ich an selber Stätte, damals anlässlich der Deutschen Meisterschaften, zum letzten Mal vor Beginn meiner DLV-Tätigkeit Leichtathletik live als Zuschauerin erlebt. Seither hatte ich mich in Stadien und Leichtathletikhallen stets nur zum Arbeiten aufgehalten. Und als ich an jenem Septembersonntag, erstmals wieder von den Zuschauerrängen, meinen Blick über das Stadion schweifen ließ, verspürte ich Dankbarkeit für diese zwei Jahre, in denen ich so viele besondere Momente miterleben, außergewöhnliche Geschichten erzählen durfte.

Wiedersehen unter anderen Umständen

Doch bei meiner gedanklichen Reise durch die vergangenen Monate wurde mir schließlich klar, dass ich für meinen ganz besonderen Moment zum Anfang zurückgehen muss. Zu einem meiner ersten Einsätze in diesem Jahr, den Deutschen Hallenmeisterschaften in Dortmund – zugleich mein erstes Aufeinandertreffen mit den meisten Kolleginnen und Kollegen sowie den Top-Athleten seit ziemlich genau einem Jahr.

Gleicher Anlass, andere Stadt, ungewohnte Umstände: Alles war anders als bei den Hallenmeisterschaften im Jahr zuvor, bei denen zum letzten Mal Normalität geherrscht hatte, bevor die Pandemie die gesamte Welt lahmlegte – und doch wurde es ein außergewöhnlich schönes Wochenende. Nach einem Jahr Stillstand gab’s endlich wieder die geballte Ladung Emotionen, die dieser Sport hervorrufen kann, ungefiltert mitzuerleben. Denn gerade auf diesem engen Raum, ohne Zuschauer, erlebte ich eine ganze Reihe an Momenten zum Festhalten.

In der Mixed-Zone die Stimmen der Siegerinnen und Sieger einzuholen bedeutete für mich, dass ich bei dieser Hallen-DM den Athleten ganz nahe war. Zwar durfte ich coronabedingt (anders als in Leipzig ein Jahr zuvor) nicht mal eben quer durch die Halle rennen, um die Sieger der technischen Disziplinen direkt an der Anlage zu interviewen. Zwar wurden die Interviewpartner durch einen Selfie-Stick, an dem das als Aufnahmegerät dienende Handy befestigt war, auf Distanz gehalten. Doch ich fühlte mich ihnen an diesem Wochenende dennoch ganz nahe.

Was bleibt? Fairness und Menschlichkeit

Im Gedächtnis geblieben sind mir die Momente der Freundschaft und Menschlichkeit, die von keiner Fernseh- oder Livestream-Kamera eingefangen wurden: 60-Meter-Hürden-Siegerin Ricarda Lobe (MTG Mannheim), die nach ihrem Rennen neben mir in der Mixed-Zone stehen blieb und den Hals reckte, um das 60-Meter-Finale verfolgen zu können. Und bekannte, aufgrund des Starts ihrer guten Freundin Lisa Mayer (Sprintteam Wetzlar) nervöser zu sein als vor dem eigenen Wettkampf.

Die überragende Leistung und die Sprachlosigkeit von Überraschungs-Sprintsiegerin Amelie-Sophie Lederer (LG Stadtwerke München), die auch im Interviewbereich noch vollkommen überwältigt war von dem, was sie gerade geleistet hatte. Robert Baumann, der nach seinem Lauf über 3.000 Meter neben mir lautstark seine Trainingskollegin Hanna Klein (beide LAV Stadtwerke Tübingen) anfeuerte und aus der Mixed-Zone coachte (Hanna erzählte mir hinterher, sie habe insbesondere in der bis auf Athleten, Betreuer und Journalisten leeren Halle die Zurufe genau gehört).

Besonderer Sportsgeist

Oder auch ein weiterer stiller Held des Wochenendes: Marius Probst (TV Wattenscheid 01), der im 1.500-Meter-Finale alles gab, um seinem besten Freund Christoph Kessler (LG Region Karlsruhe) den Hallen-EM-Start zu ermöglichen. Er wurde nach seinem Kraftakt von Übelkeit geplagt und war so ausgelaugt, dass wir dieses Siegerinterview fast schon abgeschrieben hatten – doch ganz am Ende der zwei Wettkampftage, als wir schon beinahe zusammenpacken wollten, kam Marius extra noch einmal in der Mixed-Zone vorbei, um meiner Kollegin von diesem Rennen im Zeichen der Freundschaft zu erzählen. Ich hörte mit und war gerührt.

An diesem Sonntagabend Ende Februar verließ ich die Helmut-Körnig-Halle mit einem Lächeln, das auch während der mehrstündigen Heimreise nicht aus meinem Gesicht verschwinden sollte. In mein Gedächtnis gebrannt hatte sich ein Wochenende, das nicht nur von sportlichen Höchstleistungen geprägt war, sondern vor allem von Sportsgeist, Fairness, Leidenschaft und Menschlichkeit. Denn die besten Geschichten, die der Sport schreibt, erzählen nicht nur von Bestleistungen, Siegen und Rekorden – sondern stets auch und ganz besonders von Menschen.

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