| Interview der Woche

Julian Wagner: "In Zukunft konzentriere ich mich nur noch auf den Sport"

6,58 Sekunden. Im allerersten Rennen der Hallensaison! Julian Wagner (LC TopTeam Thüringen) hat am Samstag in Dortmund einen rasanten Einstieg in das Wettkampf-Jahr 2022 hingelegt und sich über 60 Meter direkt an die Spitze der deutschen Bestenliste katapultiert. Und das nur wenige Tage nach dem Abschluss seiner Ausbildung als Mechatroniker. Wie er seinen Saisonstart selbst einordnet, wie er seine weitere Karriere im Leistungssport plant und welche Ziele er im Jahr 2022 sowie darüber hinaus im Blick hat, hat der 23-Jährige uns anschließend im Interview erzählt.
Peter Middel

Julian Wagner, Sie sind am Samstag beim PSD Bank Indoor Meeting in Dortmund in die Hallensaison eingestiegen und haben dabei Zeiten von 6,58 Sekunden im Vorlauf und 6,62 Sekunden im Finale erzielt. Wie lautet Ihr Fazit?

Julian Wagner:

Insgesamt bin ich mit meinem Hallenauftakt hochzufrieden. Die vielen Fehlstarts im Vorlauf fand ich schon irritierend, aber ich habe sie ganz gut weggesteckt. Schade, dass beim ersten Versuch der Start zugeschossen wurde, denn da bin ich sehr gut aus den Blöcken gekommen. Als es dann losging, lief alles bei mir super. Das drückt ja auch meine Zeit von 6,58 Sekunden aus. Im Finale bin ich leider am Start sitzengeblieben. Wenn mir das nicht passiert wäre, hätte ich den Lauf wahrscheinlich gewonnen, und ich wäre noch einige Hundertstelsekunden schneller gewesen. Trotzdem ziehe ich eine positive Bilanz, denn ich hätte nie gedacht, dass ich gleich zum Saisonauftakt so schnelle Zeiten abliefern würde.

Wie verlief Ihr bisheriges Wintertraining?

Julian Wagner:

Ich habe mit Ausnahme von kleineren Blessuren gut durchtrainiert. Diese Beschwerden waren in erster Linie muskuläre Probleme. Daher haben Trainer Tobias Schneider und ich im Training einen Gang zurückgeschaltet, um nichts im Hinblick auf die großen Herausforderungen in diesem Jahr zu riskieren. Deswegen bin ich auch erst am 12. Februar in die Hallensaison eingestiegen. Hinzu kam, dass ich im Januar meine dreieinhalbjährige Ausbildung als Mechatroniker abgeschlossen habe und mich daher intensiv auf die Prüfung vorbereiten musste.

Als Mechatroniker werden Sie in Zukunft ein gefragter Mann sein. Lässt sich da der Beruf mit Ihren leistungssportlichen Ambitionen vereinbaren?

Julian Wagner:

Ich kenne die große Nachfrage nach Mechatronikern. Ich habe mich jedoch dafür entschieden, mich in Zukunft nur noch auf den Sport zu konzentrieren – quasi als Vollzeitsportler. Wenn ich im Sprint weitere Fortschritte erzielen möchte, benötige ich professionelle Bedingungen. Damit ich meinen Lebensunterhalt finanzieren kann, werde ich unterstützt durch einen Sponsor unseres Vereins und durch die Sporthilfe. Nach dem Ende meiner Karriere im Leistungssport bin ich fest davon überzeugt, dass ich schnell in das Berufsleben einsteigen kann, denn der Bedarf an Mechatronikern wird auch in Zukunft noch hoch sein. So gesehen gehe jetzt kein großes Risiko ein.

Die Deutschen Hallenmeisterschaften in Leipzig stehen kurz bevor. Welche Ziele haben Sie sich dafür gesetzt?

Julian Wagner:

Im möchte gerne in Leipzig wie im Vorjahr eine Medaille gewinnen. 2021 bin ich in 6,58 Sekunden Zweiter geworden. Meine Zeiten von Dortmund haben gezeigt, dass das ein realistisches Ziel ist. Vor allem die 6,58 Sekunden aus dem Vorlauf stimmen mich optimistisch. Natürlich spielen auf den 60 Metern in der Halle viele Faktoren eine Rolle, sodass Überraschungen nicht ausbleiben. Und ich werde in Leipzig starke Konkurrenten haben, sodass ich mich nicht als Favoriten betrachte. Schön wäre natürlich, wenn ich gewinnen würde, aber mit einer Medaille wäre ich auch zufrieden.

Vom 18. bis 20. März stehen die Hallen-Weltmeisterschaften in Belgrad an. Bilden diese Titelkämpfe für Sie ein Thema?

Julian Wagner:

Überhaupt nicht. Nach Leipzig schließe ich die Hallensaison ab und beginne meine Vorbereitungen auf den Sommer. Ich werde mich dann zwei Wochen lang mit meiner Trainingsgruppe in Kienbaum aufhalten. Dort absolvieren wir vor allem ein Grundlagentraining mit vielen Läufen. Im April fliege ich dann nach Florida, um dort an einem Trainingslager des DLV teilzunehmen. Ich werde dort drei Wochen bleiben.

Die WM findet vom 15. bis 24. Juli in Eugene in den USA statt. Kurze Zeit später steht die Heim-EM in München vom 11. bis 21. August an. Ist die Terminierung ein Problem für Sie?

Julian Wagner:

Ich freue mich, dass trotz der Pandemie beide Meisterschaften in diesem Jahr durchgeführt werden. Der geringe zeitliche Abstand ist natürlich eine große Herausforderung. Ich werde meinen Fokus klar auf die Heim-EM legen, die ist für mich das absolute Highlight in diesem Jahr ist, ohne dabei die WM aus den Augen zu verlieren. Die beiden Titelkämpfe müssen sorgfältig geplant und vorbereitet werden.

Welche Ziele haben Sie sich für die EM und die WM gesetzt?

Julian Wagner:

Mit der Staffel möchten wir bei der EM auf jeden ins Finale kommen. Wenn alles nach Plan läuft, ist dort vielleicht sogar eine Medaille drin. Außerdem möchte ich mich gerne für den Einzellauf qualifizieren. Wenn ich dort unter die Top 12 oder die Top 16 kommen sollte, wäre das schon super. Ich hoffe auf eine Zeit im Bereich meiner Bestleistung von 10,11 Sekunden. Das Gleiche gilt für die WM. Für Eugene ist es für mich schwierig Prognosen abzugeben. Da muss ich schauen, was auf mich zukommt, und ich werde versuchen, das Beste daraus zu machen.

Ist in diesem Jahr für Sie vielleicht sogar die 10-Sekunden-Marke in Reichweite?

Julian Wagner:

Wenn es passiert, dann passiert es. Ich mache mir selbst aber keinen Druck, weil für eine Neun vor dem Komma viele Faktoren stimmen müssen. In diesem oder im nächsten Jahr ist das Unterbieten der 10-Sekunden-Marke für mich kein konkretes Ziel. Langfristig möchte ich mir aber diesen Traum erfüllen.

Corona ist aktuell immer noch ein Thema – auch im Sport. Da können die Ziele, die man sich vorgenommen hat, schnell wie ein Kartenhaus zusammenbrechen. Wie schützen Sie sich in dieser Situation?

Julian Wagner:

Natürlich nehme ich die Gefahr ernst. Ich versuche, meine Kontakte zu minimieren. Als Sprinter leben wir in Erfurt in einer Blase und minimieren unsere Außenkontakte. Wir testen uns regelmäßig und halten die allgemein gültigen Hygiene- und Sicherheitsbestimmungen ein. Wir sind da sehr gut aufgestellt und brauchten unser Training noch nicht einzuschränken. Bisher haben wir auch noch keinen Corona-Fall in unserer Trainingsgruppe gehabt. Ich bin mit der Situation in Erfurt sehr zufrieden. Dieses Sicherheitsgefühl ist sehr wichtig für mich. Wenn wir als Sportler immer nur mit der Angst herumlaufen würden, eventuell Corona zu bekommen, dann würden wir unseren Fokus nicht mehr auf unser Training beziehungsweise auf unsere Wettkämpfe richten. Wie sich das auf das Leistungsniveau auswirkt, kann sich jeder vorstellen.

Der erfolgreichste Erfurter Sprinter war bisher Julian Reus. Er hat nicht nur den Vornamen mit Ihnen gemeinsam. Wie ist Ihr Verhältnis?

Julian Wagner:

Er ist auch sehr guter Freund von mir. Wir tauschen uns regelmäßig aus. Er besucht uns auch oft beim Training und gibt uns Tipps.

Wann haben Sie Ihr Herz für die Leichtathletik entdeckt?

Julian Wagner:

Im Alter von sieben Jahren habe ich in Erfurt mit dem Kindersport angefangen. Ich bin dann über die Sportschule zum Leistungssport gekommen, habe am Pierre-de-Coubertin-Gymnasium mein Abitur gemacht und anschließend meine Ausbildung als Mechatroniker absolviert. Anfangs habe ich parallel noch Fußball gespielt. Als meine Eltern mir dann gesagt haben, ich solle mich für eine Sportart entscheiden, fiel meine Wahl auf die Leichtathletik. Und ich bin unwahrscheinlich glücklich darüber, dass ich mich so entschieden habe.

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