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HÜRDENSPRINT FRAUEN | Große Fußstapfen für aufstrebende Talente

Es war ein intensives Jahr für die Leichtathletik. Weltmeisterschaften in den USA. Europameisterschaften im eigenen Land. Und auch der Nachwuchs war international gefordert. Was bleibt in Erinnerung? Wir werfen einen Blick zurück auf dieses besondere Jahr 2022. Heute: der Hürdensprint der Frauen.
Silke Bernhart

Das ist 2022 passiert

Die Saison 2022 war im Hürdensprint der Frauen geprägt von großen Lücken – die jene Athletinnen hinterließen, welche in den vergangenen Jahren die deutschen Farben so erfolgreich auf internationaler Bühne präsentiert hatten. Pamela Dutkiewicz-Emmerich: hat ihre Karriere beendet. Cindy Roleder: bestritt nach vielversprechenden Hallen-Auftritten aufgrund verschiedener Infektionen keine Freiluft-Saison. Ricarda Lobe: verzichtete auf die Hallensaison und fiel im Sommer mit einer Oberschenkel-Verletzung aus. Spätestens nachdem mit Anne Weigold (LG Mittweida) auch die Schnellste der Hallensaison mit strukturellen Verletzung für den weiteren Saisonverlauf passen musste, wurde deutlich, dass noch kein Talent die Lücke zu Deutschlands lange dominierenden Hürdensprinterinnen schließen kann.

Die gute Nachricht: der Nachwuchs ist auf einem guten Weg! Wenngleich es 2022 weiterhin eine erfahrene Athletin war, die auf weiten Strecken den Ton angab: Monika Zapalska (TV Wattenscheid 01) schaffte nicht nur als einzige DLV-Athletin die Qualifikation für die Hallen-WM und die Heim-EM, sie verbuchte mit neuer Bestzeit von 13,13 Sekunden auch die schnellste deutsche Zeit des Jahres. Nur ihre DM-Starts standen unter keinem guten Stern: In der Halle fehlten Tausendstel, um Cindy Roleder (SV Halle) in Schach zu halten. Und im Freien? Stürmte ein neues Gesicht ins Rampenlicht.

Marlene Meier (TSV Bayer 04 Leverkusen), 20 Jahre jung, steigerte sich bei den Deutschen Meisterschaften im Berliner Olympiastadion über 13,20 Sekunden im Halbfinale auf 13,15 Sekunden im Finale und ließ dabei Favoritin Monika Zapalska hinter sich. Obwohl diese zu diesem Zeitpunkt in 13,21 Sekunden ebenfalls Bestzeit rannte. Dahinter platzierten sich zwei weitere Talente, denen die Zukunft gehören könnte. Franziska Schuster (TSV Bayer 04 Leverkusen), ebenfalls erst 20 Jahre jung, und Hawa Jalloh (Wiesbadener LV), gar noch der U20-Altersklasse angehörig, trennten in 13,32 Sekunden nur Tausendstel.

Für Hawa Jalloh sollte der vierte Platz der DM erst ein Aufgalopp sein. Die nächste Bestmarke war wenige Wochen später bei der Jugend-DM in Ulm fällig, wo die Wiesbadenerin in 13,23 Sekunden zu Gold stürmte. Es war die schnellste Zeit einer deutschen U20-Athletin seit zehn Jahren. Bei der U20-WM in Cali (Kolumbien) sorgte Hawa Jalloh schließlich Anfang August mit Platz fünf in 13,36 Sekunden für das beste internationale Resultat 2022 im deutschen Hürdensprint. Bis zum Halbfinale begleitete sie dabei Naomi Krebs (Hannover 96), die mit zwei Rennen in 13,45 Sekunden ebenfalls nachhaltig Eindruck hinterließ.

Auch hinter den Top Zwei der U20 braucht man nicht lange zu suchen nach Athletinnen mit schnellen Zeiten: Lia Flotow (1. LAV Rostock; 13,54 sec), Madleen Malecki (TV Wattenscheid 01; 13,65 sec), Johanna Paul (Hannover 96) oder Line Schröder (Hamburger SV; 13,69 sec) – sie alle erzielten 2022 Zeiten, die in den Jahren zuvor mindestens für einen Platz in den Top Drei der deutschen U20-Bestenliste gut gewesen wären.

Auf den Athletinnen der Jahrgänge 2002 bis 2004 ruhen die größten Hoffnungen im deutschen Hürdensprint der Frauen. Die Talente der U18 kamen in diesem Jahr erst spät in Schwung – zu spät für die Qualifikation für die U18-EM, die über 100 Meter Hürden ohne DLV-Beteiligung stattfand. Bei den Deutschen Jugendmeisterschaften deuteten aber in den Vorläufen besonders Vanessa Weise (SV Halle; VL: 13,56 sec) sowie die Deutsche U18-Meisterin Mayleen Bartz (VfL Stade; 13,64 sec) an, dass sie das Zeug für das U18-EM-Finale gehabt hätten. Für dieses waren in Jerusalem 13,54 Sekunden gefordert.

Die deutschen Farben beim EYOF vertrat derweil eine Siebenkämpferin: Emma Kaul (USC Mainz), der nach Verletzungsproblemen für die Mehrkampf-Qualifikation noch ein paar Körner gefehlt hatten, schaffte in Walldorf mit 14,01 Sekunden den Sprung ins deutsche Team für die Europäischen Olympischen Jugendspiele in Banska Bystrica (Slowakei), bei dem nur die Talente des jüngeren U18-Jahrgangs 2006 startberechtigt waren. Trotz der nächsten Bestzeit von 13,99 Sekunden war dort für sie nach dem Vorlauf Endstation.
 

Internationale Erfolge

  Medaille Finalplatzierung
Hallen-WM  –   – 
WM  –   – 
EM  –   – 
U20-WM  –  5. Platz (Hawa Jalloh)
U18-EM  –  – 
EYOF  –  – 

Unser "Ass des Jahres"

Marlene Meier (TSV Bayer 04 Leverkusen)

Deutsche Meisterin
Zweite deutsche Jahresbestenliste
Steigerung um 41 Hundertstel

Unser "Talent des Jahres"

Hawa Jalloh (Wiesbadener LV)

DM-Vierte
Deutsche U20-Meisterin
Fünfte der U20-WM

Die deutschen Top Ten 2022

Zeit Athletin Jahrgang Verein
13,13 sec Monika Zapalska 1994 TV Wattenscheid 01
13,15 sec Marlene Meier 2002 TSV Bayer 04 Leverkusen
13,23 sec Hawa Jalloh 2003 Wiesbadener LV
13,24 sec Isabel Mayer 1993 LG Telis Finanz Regensburg
13,32 sec Franziska Schuster 2002 TSV Bayer 04 Leverkusen
13,38 sec Selina von Jackowski 1997 TuS Lörrach-Stetten
13,39 sec Carolin Schäfer 1991 Eintracht Frankfurt
13,40 sec Lisa Maihöfer 1997 SV Go! Saar 05
13,45 sec Naomi Krebs 2003 Hannover 96
13,51 sec Sophie Weißenberg 1997 TSV Bayer 04 Leverkusen

Statistik –  Das sagen die Zahlen

Das deutsche Top-Niveau: 100 Meter Hürden

Jahr =/< 12,98 sec* Schnitt Top 3 Schnitt Top 5 Schnitt Top 10
2005 2 12,87 13,03 13,24
2006 1 13,04 13,15 13,31
2007 13,15 13,19 13,28
2008 1 12,98 13,03 13,24
2009 1 12,97 13,10 13,36
2010 3 12,84 12,95 13,16
2011 1 13,07 13,14 13,31
2012 3 12,86 12,99 13,16
2013 1 13,09 13,22 13,38
2014 4 12,79 12,91 13,16
2015 1 12,95 13,09 13,29
2016 3 12,70 12,83 13,06
2017 5 12,77 12,84 13,09
2018 5 12,78 12,85 13,07
2019 2 12,95 13,08 13,25
2020 13,29 13,33 13,44
2021 13,10 13,17 13,30
2022 13,17 13,21 13,32

Jahresbestleistungen im internationalen Vergleich

Jahr Deutschland Europa Diff. Welt Diff.
2005 12,59 (K. Bolm) 12,59 (Bolm/GER) 0,00 12,43 (Perry/USA) 0,16
2006 12,65 (K. Bolm) 12,52 (Kallur/SWE) 0,13 12,43 (Perry/USA) 0,22
2007 13,14 (A. Funck) 12,49 (Kallur/SWE) 0,65 12,44 (Perry/USA) 0,70
2008 12,82 (C. Nytra) 12,50 (Onyia/ESP) 0,32 12,43 (Jones/USA) 0,39
2009 12,78 (C. Nytra) 12,67 (O'Rourke/IRL) 0,11 12,46 (Foster-H./JAM) 0,32
2010 12,57 (C. Nytra) 12,57 (Nytra/GER) 0,00 12,52 (Lopes-Schl./CAN) 0,05
2011 12,91 (C. Roleder) 12,56 (Porter/GBR) 0,35 12,28 (Pearson/AUS) 0,63
2012 12,74 (C. Nytra) 12,54 (Ennis/GBR) 0,20 12,35 (Pearson/AUS) 0,39
2013 12,85 (N. Hildebrand) 12,55 (Porter/GBR) 0,30 12,26 (Rollins/USA) 0,59
2014 12,71 (N. Hildebrand) 12,51 (Porter/GBR) 0,20 12,44 (Harper Nelson/USA) 0,27
2015 12,59 (C. Roleder) 12,56 (Porter/GBR) 0,03 12,34 (Nelvis/USA) 0,25
2016 12,62 (C. Roleder) 12,62 (Roleder/GER) 0,00 12,20 (Harrison/USA) 0,42
2017 12,61 (P. Dutkiewicz) 12,61 (Dutkiewicz/GER) 0,00 12,28 (Harrison/USA) 0,33
2018 12,67 (P. Dutkiewicz) 12,41 (Talay/BLR) 0,26 12,36 (Harrison/USA) 0,31
2019 12,76 (C. Roleder) 12,62 (Visser/NED) 0,14 12,32 (Williams/JAM) 0,44
2020 13,24 (R. Lobe) 12,68 (Visser/NED) 0,56 12,68 (Visser/NED) 0,56
2021 13,03 (R. Lobe) 12,51 (Visser/NED) 0,52 12,26 (Camacho-Quinn/PUR) 0,77
2022 13,13 (M. Zapalska) 12,50 (Sember/GBR) 0,63 12,12 (T. Amusan/NGR) 1,01

Das fällt auf:

  • Zum dritten Mal in Folge liegt die deutsche Jahresbestzeit über 13 Sekunden. Man muss zurückblicken bis 2007, als das vorher zuletzt der Fall war.
  • Monika Zapalska hat erstmals die deutsche Poleposition erobert und war international in der Aktivenklasse dieses Jahr Einzelkämpferin – leider wie schon in den DM-Finals zweimal mit etwas Pech, denn zum Einzug ins Halbfinale fehlte jeweils nur ein Wimpernschlag.
  • Die internationale Spitze ist weit enteilt, allen voran die neue Weltrekordlerin aus Nigeria Tobi Amusan, die im Halbfinale der WM von Eugene (USA) mit 12,12 Sekunden für Verblüffen sorgte und auch im Finale Olympiasiegerin Jasmine Camacho-Quinn (Puerto Rico) hinter sich ließ – die auch noch der zeitgleichen Britany Anderson (Jamaika; 12,23 sec) den Vortritt lassen musste.
  • Einzige Europäerin im Finale: die Britin Cindy Sember (geb. Ofili), die mit ihrer Zeit von Eugene von 12,50 Sekunden auch in der Weltjahresbestenliste Europas Fahnen hochhält – allerdings erst auf Platz 14, einen Platz vor der aufstrebenden Polin Pia Skrzyczowska (12,51 sec).
  • Die Talente besonders der U20 und U23 sorgten 2022 für die vielversprechendsten deutschen Resultate, allen voran die Deutsche Meisterin Marlene Meier und Hawa Jalloh als Schnellste der U20. Sie werden jedoch Zeit brauchen, um die doch schon sehr große Lücke zur europäischen oder gar Weltspitze Schritt für Schritt wieder zu schließen.
  • Vielleicht weisen ihnen dabei 2023 wieder erfahrene deutsche Athletinnen den Weg: Mit Cindy Roleder und Ricarda Lobe haben zwei DLV-Athletinnen mit Bestzeiten unter 13 Sekunden gerade wieder ihr Aufbautraining für die neue Saison aufgenommen. Und auch Anne Weigold will in der kommenden Saison wieder angreifen.

leichtathletik.TV-Clips:

60 Meter Hürden   100/110 Meter Hürden

Die Disziplin-Analysen im Überblick:

Sprint Frauen
Sprint Männer
Langsprint Frauen
Langsprint Männer

* als Referenzwert dient die WM-Norm des Jahres 2017

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