| Interview

Björn Otto: "Ich erinnere mich fast an jede Sekunde"

Er will es noch einmal versuchen. Noch einmal Wettkampfluft schnuppern, noch einmal das Gefühl der Höhenjagd erleben, sich noch einmal dem Publikum zeigen, das ihn 2012 zum deutschen Rekord von 6,01 Meter pushte. Am 7. September zieht Stabhochspringer Björn Otto einen Schlussstrich unter seine Karriere, in der er unter anderem Silber bei Olympischen Spielen, EM und Hallen-WM 2012 gewann – und eben jenen magischen Moment beim Aachener Domspringen erlebte. Im Interview spricht der Kölner über die einzigartige Atmosphäre in der Kaiserstadt, seine Gänsehaut beim Rekordsprung und die Leidenszeit nach seinem Achillessehnenriss.
Ivo Koken

Björn Otto, Sie beenden in knapp zwei Wochen hier in Aachen Ihre Karriere. Wieso haben Sie sich für das NetAachen Domspringen als Schlusspunkt entschieden?

Björn Otto:

Dieser Wettkampf bietet an sich schon viel Potenzial, um hier seinen Abschied zu genießen am Ende der Saison auf einem ehrwürdigen Platz zwischen Dom und Rathaus. Die Kulisse und das Aachener Publikum sind einzigartig. Außerdem sind hier schon viele Athleten verabschiedet worden. Jeff Hartwig [USA; Bestleistung 6,03 m], Rens Blom [Niederlande; Weltmeister 2005] und ich glaube auch Lars Börgeling [TSV Bayer 04 Leverkusen, Olympia-Sechster und Vize-Europameister], um nur ein paar Beispiele zu nennen. Dass ich dieses Meeting viermal gewonnen habe und dann noch den deutschen Rekord hier gesprungen bin, ist natürlich das i-Tüpfelchen obendrauf.

Sie sprechen den Deutschen Rekord an. Welche Erinnerungen haben Sie vier Jahre später noch an diesen Sprung über 6,01 Meter?

Björn Otto:

Ich erinnere mich fast an jede Sekunde. Zwischendurch fehlen mir wirklich Bilder, aber das ist bei jedem Sprung so. Ich habe keinen fließenden Film vor Augen, aber ich könnte den Sprung jetzt mindestens zu 90 Prozent nachgehen – das ist natürlich Gänsehautfeeling.

Gänsehautfeeling kommt vermutlich auch auf, wenn Sie an die Stimmung neben dem Anlaufsteg denken.

Björn Otto:

Ja! Die 6,01 Meter waren natürlich schon der Kracher, aber das muss man auch dem Publikum anrechnen. Ohne diese Stimmung würde man diese Höhe nicht springen. Vor allem nicht so spät in der Saison. Von daher ist es ein rundum sehr gutes Paket hier in Aachen gewesen.

Was genau macht die Stimmung beim Domspringen so besonders?

Björn Otto:

Es gibt nur wenige Wettkämpfe, wo man wirklich so nah dran ist. Aber dass das Publikum so begeistert ist, wo man weiß, auf diesen Platz passen genau 5.000 Leute drauf und danach wird abgeriegelt, weil es einfach voll ist, das ist wirklich ganz, ganz selten auf der Welt. Das Aachener Publikum ist einfach einzigartig.

Auf eben dieses Publikum mussten Sie nun so lange verzichten. Ihr letzter Wettkampf war im Januar 2014 in Cottbus. Dann begann eine lange Leidenszeit.

Björn Otto:

Genau, kurz nach Cottbus ist mir beim PSD Bank Meeting in Düsseldorf dann die Achillessehne um die Ohren geflogen. Das war noch beim Einspringen, bevor ich den Wettkampf beginnen konnte. Dann rennt man erstmal wieder endlos lange mit einem Adimed-Schuh [Anm. d. Red.: auffällig hoher Therapie-Schuh zur Stabilisierung und Entlastung] rum, wo die Achillessehne dann erst einmal auf Null gestellt wird. Das ist nicht so einfach, zumal wenn man weiß, was kommt. Ich hatte mir vorher ja schon zweimal die Achillessehne angerissen. Diesmal ist es aber wirklich so gewesen, dass es endlos lange gebraucht hat bis ich wieder Sport machen konnte. Auch jetzt bin ich nicht schmerzfrei. Von daher muss ich immer gucken: Was geht? Was geht nicht? Aber ich würde trotzdem ganz gerne hier springen und tue alles dafür, dass das auch machbar ist.

Sie sagen, Sie sind nicht schmerzfrei. Bezieht sich das auf den Sport an sich oder machen sich die Schmerzen auch im Alltag bemerkbar?

Björn Otto:

Ich bin gestern noch im Training gesprungen und heute merke ich den Fuß auch komplett. Durchgängig, auch jetzt gerade. Im Ruhezustand normal nicht, aber wenn ich hoch springen sollte, wie eben beim Fotoshooting gewünscht, dann würde ich das sofort merken. Das wird dann natürlich wieder weniger, aber von Sprung zu Sprung wird es auch wieder mehr. Es ist eben eine Frage, wie man den Fuß gerade belastet.

Was trauen Sie sich unter diesen Umständen denn zu? Welche Erwartungen haben Sie an ihren letzten Wettkampf?

Björn Otto:

Ich hoffe, dass am Ende eine Fünf vorne steht. Das ist mein Ziel. Mein erster Trainer meinte, dass ab fünf Metern Stabhochsprung anfängt und es wäre schön, wenn ich das dem Publikum nochmal zeigen könnte. Dass es keine 5,80 Meter werden, ist denke ich vollkommen klar nach zweieinhalb Jahren Verletzungspause. Wenn der Fuß das nicht mitmachen sollte, dann muss man halt mal gucken, ob man was anderes macht oder man gar nicht springt. Wenn man als deutscher Rekordhalter mit 6,01 Metern hierhin kommt, dann will ich nicht mit 4,50 Meter hier vom Platz gehen. Das wäre dann auch blöd.

Blöd war es auch sicher in den letzten Jahren, als Sie die großen Wettkämpfe vor dem Fernseher verfolgen mussten. Mit welchen Gefühlen schaut man dann zu?

Björn Otto:

Also in der Regel schau ich es mir eigentlich fast gar nicht an. Ich habe mir auch jetzt nur eine Zusammenfassung von den Olympischen Spielen in Rio angeguckt. Gerade wenn man mit dem Herzen eigentlich noch mitspringt oder sogar dabei sein könnte, finde ich es schwierig, sich die anderen anzugucken. Wenn das alles aber bald vorbei ist, dann werde ich die Wettkämpfe auch aus der Ferne sicher wieder genießen können.

Mit dem Herzen mitspringen – Sie waren auch noch oft dabei, beispielsweise in Trainingslagern. Der Kontakt zur aktiven Szene ist also nie abgerissen?

Björn Otto:

Richtig, es war ja auch nach wie vor der Plan, dass ich mich vielleicht sogar für Rio qualifiziere. Ich habe mir 2010 die Achillessehne angerissen und habe 2012 Silber bei Olympia gewonnen. 2014 wieder die Achillessehne angerissen – das hätte ja auch alles gut gehen können, wenn es denn gleich verlaufen wäre. Das ist es aber leider nicht. Dementsprechend musste ich dann einfach umplanen.

Umplanen heißt auch außerhalb vom Leistungssport denken. Haben Sie mittlerweile Ihre Pilotenausbildung abgeschlossen?

Björn Otto:

Ja, schon im letzten Jahr. Ende September 2015 hatte ich meinen letzten Prüfungsflug und seitdem bewerbe ich mich fleißig. Ich hoffe, dass ich demnächst ein Type Rating [Anm. d. Red.: Musterberechtigung, die das Fliegen eines bestimmten Flugzeugtyps erlaubt] anfangen könnte und dann irgendwo fliegen kann. Das ist alles noch ein bisschen in der Schwebe, weil ich auf einer Warteliste stehe. Ich hoffe, dass es Ende des Jahres losgehen könnte und dann werde ich mich wohl in einer 737 [Anm. d. Red.: Boeing 737, Passagiermaschine] wiederfinden.

Werden Sie der Leichtathletik denn auch parallel zu dieser zweiten Karriere erhalten bleiben?

Björn Otto:

Ja klar. Ich laufe ja nicht weg. Ich bin schon als kleines Kind übers Turnen in die Kinder-Leichtathletik reingerutscht. So ist die Leichtathletik seit etwa 35 Jahren meine Sportart. Wann immer ich es später irgendwie einrichten kann, werde ich auch da sein.

35 Jahre Leichtathletik ist eine irrsinnig lange Zeit, in der Sie einige große deutsche Stabhochspringer begleitet haben. Pflegen Sie auch heute noch Kontakt zu den großen Namen Ihrer Generation?

Björn Otto:

Mit Michael Stolle habe ich beispielsweise eine wirklich enge Freundschaft. Andere wie Danny Ecker sehe ich leider gerade nicht so häufig, aber mit allen, die mit mir großgeworden sind, pflege ich doch einen sehr guten Umgang. Daher freue ich mich natürlich auch, wenn einige von ihnen am 7. September in Aachen vorbeikommen.

Damit kommen wir wieder zu dem Platz, an dem Sie Ihre beste Höhe gemeistert haben. Ist das auch das, was am Ende am meisten hängenbleibt oder welcher ist im Rückblick der Moment des Björn Otto?

Björn Otto:

Diesen einen Moment gibt es nicht. Ich habe immer gesagt, dass Olympische Spiele oder 6,01 Meter auf dem Aachener Katschhof zwei völlig verschiedene Paar Schuhe sind. Bei dem einen Wettkampf springt man auf Platzierung. Da geht es nur darum, eine Medaille oder eine gute Platzierung zu erringen und dabei ist die Höhe vollkommen irrelevant. Dass es in London für mich mit Silber vor 80.000 Leuten geendet hat, war natürlich mega. Das würde ich aber nicht vergleichen wollen mit dem Domspringen.

Wie war es dort?

Björn Otto:

Da habe ich morgens um 10 Uhr in Leverkusen noch meinen Auftakt gemacht, habe meinen Trainer angerufen und gesagt: „Heute geht es auf Höhenjagd.“ Dann bin ich bei meiner Einstiegshöhe von 5,70 Metern fast rausgeflogen, weil die Stäbe zu weich wurden. Das war eigentlich ein ganz enges Ding [schmunzelt]. Da ging es wirklich nur auf Höhe und ich habe mir nie Gedanken gemacht, dass ich damit Erster, Zweiter oder Dritter werden könnte. Da war das klare Ziel sechs Meter zu springen. Von daher kann man die Wettkämpfe einfach nicht miteinander vergleichen. Stimmungstechnisch kann man 5.000 Leute auch nicht mit 80.000 vergleichen, aber hier weiß man definitiv, es sind 5.000 Menschen nur auf eine Person, auf einen Sprung fokussiert. In London war es zwar lauter, aber die Zuschauer waren auf vielleicht zehn Disziplinen verteilt. Beide Momente sind einzigartig gewesen und ich würde keinen davon hergeben wollen.

Mehr:

<link news:49911>Björn Otto beendet seine Karriere in Aachen

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