| Interview der Woche

Carolin Schäfer: „Arsch oder König“

In einem hochklassigen und mitreißenden Siebenkampf von Götzis (Österreich) hat Carolin Schäfer am vergangenen Wochenende den Sprung in eine neue Dimension geschafft: Mit 6.836 Punkten überbot sie als fünfte Deutsche die 6.800-Punkte-Marke und zeigte den besten Mehrkampf einer deutschen Athletin seit 25 Jahren. Nur die überragende Olympiasiegerin aus Belgien Nafissatou Thiam (7.013 Pkt) war besser. Wie die Athletin von der LG Eintracht Frankfurt ihre Leistung bewertet, wie sie nach zwei Ungültigen im Weitsprung cool bleiben konnte und warum der Erfolg für sie so emotional war, berichtete sie anschließend im Interview.
Silke Bernhart

Carolin Schäfer. Sie haben gerade den besten deutschen Siebenkampf seit 1992 hingelegt und seit dem deutschen Rekord von Sabine Braun, die vor 25 Jahren hier in Götzis 6.985 Punkte gesammelt hat. Wie sieht nach so einem Wettkampf Ihre Gefühlswelt aus?

Carolin Schäfer:

Ich bin hier ins Ziel gekommen und wusste, dass ich 6.800 Punkte gemacht habe. Als mein Trainer [Jürgen Sammert] gekommen ist, habe ich angefangen zu weinen. Es war so eine Erleichterung, und so überwältigend. Als ich jünger war, waren Jenny Oeser und Lilli Schwarzkopf mit ihren hohen 6.600ern das Maß der Dinge, dem wollte ich nacheifern. Jetzt mache ich hier 6.800! Das ist eine Dimension, die muss ich erstmal realisieren.

Im vergangenen Jahr haben wir hier in Götzis über Ihr Ziel von 6.600 Punkten gesprochen. Jetzt haben Sie die einfach übersprungen, ebenso wie die 6.700. Wie geht das?

Carolin Schäfer:

Ich weiß auch nicht. Aber ich bin ganz gut darin, Punktzahlen zu überspringen (lacht). Ich habe zum Beispiel auch noch nie 6.100 oder 6.200, sondern gleich den Sprung auf 6.300 Punkte geschafft. Wenn man einmal im Flow drin ist, dann muss man versuchen, den Schwung mitzunehmen und die Bedingungen zu nutzen. Das war hier eine einmalige Chance, 6.800 Punkte zu erreichen. Die musste ich nutzen, das hätte ich mir nicht verziehen.

Man hat Ihnen das auch während der 800 Meter angesehen. Sie wollten unbedingt! Wie haben Sie das Rennen erlebt?

Carolin Schäfer:

Ich wusste, dass ich für 6.800 ungefähr 2:17 Minuten laufen muss. Aber im Training habe ich schon gesehen, dass viel mehr geht. Und das wollte ich auch auf die Bahn bringen. Ich wollte nicht ins Ziel kommen und sagen: Ach, die 800 waren jetzt nicht so toll. Ich wollte ins Ziel kommen und sagen: Ja! Das war ein richtig guter, runder Mehrkampf. Der Gedanke an die Punktzahl hat mich zwei Runden begleitet.

Was sagen Sie denn dazu, dass vor den 800 Metern noch nicht einmal klar war, ob 6.800 Punkte zu Rang zwei reichen würden?

Carolin Schäfer:

Jetzt haben wir gedacht, Ennis-Hill ist nicht mehr dabei, Theisen-Eaton ist nicht mehr dabei – jetzt wird es einfacher … (lacht). Es ist ein bomben-krasses Niveau da vorne. Ich wusste, dass Ikauniece [die drittplatzierte Lettin Laura Ikauniece-Admidina; 6.815 Pkt] mir auf den Fersen war. Den Vorsprung wollte ich natürlich halten, die habe ich immer im Auge behalten.

Zumindest von außen war aber doch der Weitsprung am aufregendsten. Sie sind mit zwei ungültigen Versuchen gestartet und haben dann eine neue Bestleistung von 6,57 Metern geschafft. Wie konnten Sie da so cool bleiben?

Carolin Schäfer:

Ich weiß auch nicht, was da mit mir im Weitsprung los ist. Peking Salto nullo. Rio die ersten zwei ungültig… Sicherlich hätte ich hier den ersten Sprung gerne gültig gemacht. Aber ich habe in den ersten zwei Versuchen gemerkt, dass richtig was geht. Schon im Hochsprung habe ich gesehen, dass die Sprungkraft da ist. Die Geschwindigkeit ist da. Ich habe mir gesagt, ich gehe einfach voll aufs Brett. Und dann: Arsch oder König! Nach diesem ersten Tag wollte ich nicht auf Sicherheit gehen. Und dann war es endlich mal richtig Weitsprung! Sonst habe ich hier immer eingebüßt, jetzt konnte ich endlich mal mithalten.

Gibt es einen Moment oder eine Disziplin, den oder die Sie als Highlight des Wettkampfs herausgreifen würden?

Carolin Schäfer:

Für mich persönlich waren die Sprungdisziplinen die Highlights. 1,86 Meter im Hochsprung und 6,57 Meter im Weitsprung. Daran haben wir viel gearbeitet, die Leistungen machen mich sehr stolz. Man sieht auch, dass da noch sehr viel Potenzial ist.

Auch Ihre Familie hat hier mit Ihnen mitgefiebert. Als Ihre Mutter Ihnen gratuliert hat, sind wieder Tränen geflossen. Was berührt Sie nach dieser Leistung besonders?

Carolin Schäfer:

Ach, das ist einfach ein Zusammenschluss von allem. Krankheitsbedingt und auf Anraten der Ärzte musste mein Trainer Jürgen Sammert im Training entlastet werden und die Gruppe verkleinern, in der ich weiter mit den Weitspringern Gianluca Puglisi und Maryse Luzolo trainiere. Ich wollte ihm daher noch mal besonders beweisen, dass es die richtige Entscheidung war. Dass wir ein unschlagbares Team sind. Ich habe sieben Monate extrem hart trainiert, aber wir sind nicht in den Süden ins Trainingslager gefahren, sondern nach Saarbrücken. Dort habe ich auch mein Umfeld, das ist mir sehr, sehr wichtig. Da ist es egal, wo ich trainiere – Hauptsache das Umfeld stimmt, dann geht es mir gut und dann bringe ich Top-Leistungen.

Nach diesem Siebenkampf ist es schwer vorstellbar, dass mit der WM in London in drei Monaten eigentlich erst der Saison-Höhepunkt folgen soll. Wie kann man da überhaupt noch eine Schippe draufpacken?

Carolin Schäfer:

Hier war ich im Flow, diese Chance musste ich einfach ergreifen. Sicherlich ist es kein Mehrkampf, den ich alle Tage wiederholen werde. Aber trotzdem ist es wichtig, diese Leistung zu bestätigen und an gewissen Feinheiten zu arbeiten. Erstmal muss ich das aber sacken lassen, mir eine Ruhephase gönnen und das alles analysieren. Ich glaube, dann können wir auch in London auf Gutes hoffen.  

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