| Abschied vom Leistungssport

Carsten Schlangen: „Ziele mit Beharrlichkeit verfolgen“

Die Entscheidung ist Carsten Schlangen nicht leicht gefallen. Der 1.500-Meter-Läufer der LG Nord Berlin und Vize-Europameister von 2010 hat sich entschlossen, seine Karriere zu beenden. Im Interview spricht der 33-Jährige über die Gründe für seinen Abschied, die schönsten Momente seiner Karriere und seine Ideen, wie die Leichtathletik fit für die Zukunft gemacht werden könnte.
Jan-Henner Reitze

Carsten Schlangen, mit welchen Gefühlen verabschieden Sie sich vom Leistungssport?

Carsten Schlangen:

Abschied zu nehmen fällt mir nicht leicht, weil es einfach eine schöne Zeit war. Ich habe viel erlebt und tolle Menschen getroffen. Sicherlich habe ich auch einige ernüchternde und harte Erfahrungen gemacht. Unterm Strich bin ich aber froh, nach zehn Jahren Leistungssport sagen zu können: Das war eine tolle Sache.

Sie haben schon während der Saison angedeutet, dass es wohl ihre letzte sein wird. Trotzdem sind seit dem Saisonende einige Wochen vergangen, bis Sie ihre Entscheidung offiziell gemacht haben. Mussten Sie also doch noch einmal mit sich ringen?

Carsten Schlangen:

Für mich war das ein sehr emotionales Thema, das ich mit mir herumgetragen habe. Für mich war klar, dass ich zumindest auf den 1.500 Metern das letzte Jahr bestreite. Es gab die Überlegung, ob ich mich noch einmal neu erfinde und Richtung 5.000 Meter, 10.000 Meter und später Marathon gehe. Letzten Endes habe ich aber für mich festgestellt: Das wäre nur "More of the same" gewesen. Es ist an der Zeit, für andere Dinge an den Start zu gehen.

Warum haben Sie sich nicht schon etwa nach Olympia 2012 in Richtung der längeren Strecken orientiert?

Carsten Schlangen:

Weil mir die 1.500 Meter einfach so viel Spaß gemacht haben. Die Läufe sind spannend und von Taktik geprägt. Auch das Training ist sehr viel abwechslungsreicher, als für längere Strecken. Dafür muss man über viele Jahre viele Kilometer laufen. Noch mehr, als ich es gemacht habe.

Auf Weltniveau ist die Übermacht aus Afrika im Langstreckenbereich, aber auch auf der Mittelstrecke groß. Gerade geht mit der kenianischen Marathonläuferin Rita Jeptoo der nächste Dopingfall durch die Medien. Wie sind Sie mit dem Thema Doping umgegangen?

Carsten Schlangen:

Leistungsgrenzen durch Doping zu verschieben, kam für mich nie in Frage. Was Doping ausmachen kann, wurde mir erstmals bei Olympia 2008 so richtig bewusst. Der spätere Olympiasieger Rashid Ramzi ließ das komplette Weltklasse-Feld auf den letzten 200 Metern mehrere Sekunden hinter sich. Ich dachte, das kann nicht wahr sein. Drei Monate später habe ich in der S-Bahn die Zeitung aufgeschlagen und gelesen, dass Ramzi gedopt war. Er wurde nachträglich disqualifiziert.

Sie haben vor allem mit einem Rennen für Schlagzeilen gesorgt: In Barcelona sind Sie 2010 Vize-Europameister geworden. War dieser Moment der Höhepunkt ihrer Karriere?

Carsten Schlangen:

Es war emotional ein absoluter Höhepunkt. Auf der Zielgeraden war es ein Moment der absoluten Klarheit: So eine Gelegenheit kommt nicht wieder. Ich habe alles reingelegt. Ich würde aber nicht soweit gehen, dass es insgesamt der größte Moment war. Das war eher meine persönliche Bestzeit in Bottrop 2012.

Dort hatten Sie die letzte Chance die Olympia-Norm zu laufen, und das kurz nachdem Sie bei der EM in Helsinki als Vize-Europameister im Vorlauf gestrauchelt und ausgeschieden waren...

Carsten Schlangen:

Stimmt. Ich bin von Helsinki nach Reims in Frankreich geflogen, um auf den letzten Drücker die Norm zu laufen. Dort hat es nicht geklappt. Dann ging es acht Stunden mit dem Bus nach Bottrop, wo dann das dritte Rennen innerhalb einer Woche anstand. Ich bin in 3:33,64 Minuten Bestzeit und die Norm gelaufen - trotz der Umstände und des großen Drucks. Das war nicht nur ein sportlicher Sieg sondern auch eine Lehre für mein zukünftiges Leben: Man darf die Hoffnung nie aufgeben und muss immer zuversichtlich bleiben. Ein weiterer toller Moment war 2005, als ich als Nobody im Finale der Deutschen Meisterschaften Zweiter geworden bin. Ein Jahr vorher hatte ich noch davon geträumt, irgendwann einmal Fünfter bei einer DM zu werden.

Sie haben erst mit 23 mit dem Leistungssport begonnen. Das ist spät. Wie kam es dazu?

Carsten Schlangen:

Ich hatte auch in der Schule und der Uni Ziele, die ich erreichen wollte. Ich habe nicht richtig daran geglaubt, mit dem Laufen Erfolg haben zu können. Die Idee war aber immer im Hinterkopf und ich habe auch regelmäßig trainiert. In meinem Erasmus-Semester in Finnland 2003 wurde mir dann bewusst, dass viele Studenten neben dem Studium arbeiten, sich engagieren, um die Welt reisen oder ausgefallene Hobbys betreiben. Da habe ich Mut gefasst, meine Grenzen im Leistungssport auszutesten. In Finnland habe ich außerdem mit Skilanglauf angefangen, weil das Laufen im Schnee schwierig war. Nachdem ich zurückkam, war ich über 5.000 Meter 30 Sekunden schneller und dachte mir: Da geht noch mehr.

Durch den Entschluss für den Leistungssport haben Sie ihre beruflichen Ziele dennoch nie aus den Augen verloren. In den vergangenen beiden Jahren haben Sie schon freiberuflich als Architekt gearbeitet. Warum haben Sie sich für diese Doppelbelastung entschieden?

Carsten Schlangen:

Mit dem Leistungssport kann es schnell vorbei sein - eine schwerere Verletzung kann dafür reichen. Hinzu kommt, dass es selbst bei größtmöglichem Erfolg in der aktiven Zeit nur wenigen Athleten möglich ist, sich finanziell auch für die Zeit nach der Leistungssport-Karriere abzusichern. Deshalb halte ich es für wichtig, dass Athleten schon während ihres sportlichen Engagements beginnen, sich eine berufliche Grundlage für die Zeit nach dem Sport zu schaffen, also den Weg einer dualen Karriere gehen. In der deutschen Leichtathletik wird viel Potential verschenkt, weil Athleten im leistungsfähigsten Alter nach wie vor ihre sportliche Laufbahn beenden, und stattdessen in das Berufsleben einsteigen – und das, noch bevor sie ihre Karriere als Sportler wirklich ausreizen konnten. Um das zu verhindern, um Sport und Beruf vereinbar und die Leichtathletik somit zukunftsfähig zu machen, ist das Engagement aller gefragt. Der Verband muss das unterstützen, und es müssen Arbeitgeber gefunden werden, die einerseits temporär Freiräume für den Sport bieten und langfristig eine feste Beschäftigung. Solche Möglichkeiten zu schaffen, halte ich für wichtiger, als Fördergelder zu verteilen.

Was die Vereinbarkeit von beruflicher Karriere und Leistungssport angeht, haben Sie in einem konkreten Fall schon Hilfestellung geleistet und zwar bei Timo Benitz, der gerade begonnen hat in Berlin an der TU seinen Master zu machen...

Carsten Schlangen:

Ja, ich habe Timo beraten. Was seinen Studienplatz in Berlin angeht, habe ich die Leute angesprochen, die ihm als Leistungssportler auf der Suche nach einem Studienplatz zur Seite stehen können. Es ist oft das schwierigste, zu wissen, wer der richtige Ansprechpartner ist. Im Moment ist Timo noch dabei, sich in Berlin zu sortieren. Wir wollen uns in Kürze zusammensetzen und uns austauschen. Ich schließe auch nicht aus, dass wir die ein oder andere Einheit gemeinsam trainieren.

Haben Sie noch nicht abtrainiert?

Carsten Schlangen:

Wegen muskulärer Probleme konnte ich nach meinem dritten Platz bei den Deutschen Meisterschaften kaum laufen und musste auch den noch anvisierten Start beim ISTAF in Berlin absagen. Im Moment bin ich wieder im Training. Vielleicht laufe ich zum Spaß im nächsten Jahr auch mal 5.000 oder 10.000 Meter – möglicherweise auch in Spikes. Auch bei Straßen- oder Crossläufen wird man mich wahrscheinlich in Zukunft noch antreffen. Ich muss aber erst einmal weg vom Leistungsgedanken.

Werden Sie der Leichtathletik auch auf anderer Ebene erhalten bleiben?

Carsten Schlangen:

Ich habe viele Ideen: In Belgien gibt es das Konzept, dass Athleten nicht über Start- oder Preisgelder für ein Meeting verpflichtet werden: der Großteil der Finanzierung geht in die Tempomacher. Die Athleten bekommen nur kleinere Beträge, um die Reisekosten zu decken und stattdessen die Garantie für ein schnelles Rennen. Es reizt mich, dieses Konzept nach Deutschland zu holen. Ich kann mir auch vorstellen, meine Erfahrungen im Organisations-Team der EM 2018 in Berlin einzubringen oder dem DLV beratend zur Verfügung zu stehen. Auch in meinem Beruf als Architekt beschäftige ich mich schon mit einem Projekt, das mit meinem Verein der LG Nord Berlin zu tun hat. Ich freue mich darauf, meine positiven Erfahrungen als Leistungssportler jetzt auch in andere Bereiche zu übertragen. Denn wie gesagt: es ist Zeit für andere Dinge an den Start zu gehen.

Was nehmen Sie aus dem Leistungssport für die Zukunft mit?

Carsten Schlangen:

Ziele mit Beharrlichkeit zu verfolgen. Es kommt oft auf kleine Stellschrauben an, die man noch verändern kann. Ob es um Fragen der Organisation des Alltags, der Anreise zum Wettkampf oder der mentalen Vorbereitung geht, die Feinjustierung ist oft ausschlaggebend. Schon mitgebracht habe ich eine gewisse Rast und Ruhelosigkeit, die es mir ermöglicht hat, in entscheidenden Situationen mehr Gas zu geben, als andere. Das hat mich in meinen Rennen ausgezeichnet. Wenn es am härtesten war, bin ich nach vorne gegangen. Ich hoffe, dass mir das auch im zukünftigen Leben hilft.

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