| Interview vor der Hallen-WM

Christina Hering: „Hellwach sein und Druck machen“

Was war das bisher für eine Hallensaison für 800-Meter-Läuferin Christina Hering? Die 21-Jährige lief wie entfesselt: 2:02,19 Minuten in Düsseldorf, dann in Glasgow (Großbritannien) eine weitere Verbesserung auf 2:00,93 Minuten - Rang neun der ewigen deutschen Hallen-Bestenliste. Bei der Hallen-DM in Leipzig unterbot sie die WM-Norm im Alleingang erneut. Nächster Halt ist die Hallen-WM in Portland, die am Donnerstag beginnt. Vor ihrem Start sprach die Münchnerin über ihre Ziele für die Titelkämpfe und mit welcher Taktik sie in die Rennen gehen will.
pm/pr

Christina Hering, wo soll das noch hinführen? Die eigene Hallen-Bestzeit um fast drei Sekunden verbessert, mit 21 Jahren den bayerischen Hallenrekord aus dem Jahr 1984 deutlich unterboten. Nun stehen Sie kurz vor dem Start bei den Hallen-Weltmeisterschaften.

Christina Hering:

Ich hätte auch nicht gedacht, dass es so gut läuft. Im vergangenen Herbst war ich zum zweiten Mal im Höhentrainingslager. Das lief richtig gut und ich bin fit wiedergekommen. Es ist dann aber nochmal eine andere Sache, das auch im Wettkampf zu zeigen. Ich bin nach den Erfolgen des Vorjahres mit viel Motivation in die Saison gestartet und war nach der Bayerischen Meisterschaft überzeugt, dass es noch deutlich schneller geht.

Das haben Sie beim Meeting in Düsseldorf gezeigt...

Christina Hering:

Dort habe ich vor allem gemerkt, dass Rennen in der Halle doch ganz anders verlaufen. Es war extrem viel Dynamik drin – gefühlt war jeder mal vorne und jeder mal hinten. Auf den letzten 50 Metern hat es sich dann so angefühlt, als ob ich noch einen Extra-Turbo zünden konnte. Als ich dann Zweite wurde und so deutlich die Hallen-WM-Norm unterboten hatte, habe ich mich wahnsinnig gefreut.

Das gute Ergebnis hat Ihnen dann den Start in Glasgow ermöglicht....

Christina Hering:

Ja, genau. In Glasgow ging ich von den Vorleistungen her als langsamste Läuferin ins Rennen. Es ging sehr eng zu. Dass ich mich dort weiter steigern konnte und Vierte geworden bin, konnte ich schon kaum fassen. Und dann habe ich die Zeit gesehen und begriffen, dass ich damit plötzlich Zehnte der Welt bin.

Christina Hering:

So ist es. Mit 2:00,93 Minuten sind Sie in diesem Jahr die zehntschnellste Frau der Welt. Das Rennen war jedoch keinesfalls perfekt. In der Schlussrunde haben Sie Gegnerin um Gegnerin kassiert. Was ist möglich, wenn Sie mal ein perfektes Rennen erwischen?

Christina Hering:

Das habe ich mich auch gefragt. Es ging auf der letzten Runde noch so viel. Was wäre gewesen, wenn ich früher Druck gemacht hätte?

Mehr Druck machen – sieht so das perfekte Rennen für Sie aus?

Christina Hering:

Das Wichtigste, was ich mir auch im Allgemeinen wünsche, ist ein faires Rennen. In den Kurven kann es schon mal Rempeleien geben, das war auch in Düsseldorf und Glasgow so, hat sich aber in Grenzen gehalten. Das kann extrem viel Kraft kosten. Ansonsten ist meine Hauptaufgabe hellwach zu bleiben und in der Lage zu sein auf alles zu reagieren, beziehungsweise besser noch, zu agieren. Es kann extrem viel passieren.

Keine Frau lief in diesem Jahr unter zwei Minuten. Die ersten zehn Frauen der Weltjahresbestenliste bewegen sich innerhalb einer Sekunde. Wird eine Zeit unter zwei Minuten fürs Finale in Portland erforderlich sein?

Christina Hering:

Das ist schwer vorherzusagen. Jeder Vorlauf ist anders und es geht eher um die Platzierung. Das erste Ziel ist also, den Lauf zu gewinnen, was die direkte Qualifikation bedeutet. Und wie die Chancen dafür stehen, hängt immer auch davon ab, mit wem man im Vorlauf ist. Mein Vorteil ist, dass ich in den zurückliegenden Rennen gemerkt habe, dass es sehr hilfreich sein kann, wenn man auf den letzten Metern nicht eingeht, sondern noch Plätze gutmacht.

Was haben Sie sich für die Hallen-WM vorgenommen?

Christina Hering:

Momentan befinde ich mich noch in der Position, dass ich eigentlich nur überraschen kann und nicht zwingend an vergangene Erfolge und Leistungen anknüpfen muss. Das ist eine angenehme Position. Trotzdem ist es wichtig, dass ich genügend Druck habe, aber da habe ich keine Sorge. Wichtig ist erstmal, dass ich die lange Anreise und das Jetlag verdaue und ich zu 100 Prozent fit an den Start gehen kann. Das Selbstvertrauen, über vier Runden das Tempo hochzuhalten, habe ich.

Bei der WM in Peking (China) fanden Vorlauf und Halbfinale an aufeinanderfolgenden Tagen statt. Anschließend haben Sie erklärt, dass Sie mit dem Vorlauf in den Beinen nicht mehr aus Ihrem Halbfinale herausholen konnten. In Portland ist der Zeitplan ähnlich. Wird es diesmal besser?

Christina Hering:

Ich hoffe schon, dass ich Fortschritte bezüglich der Verträglichkeit der Rennen gemacht habe. In den letzten Wochen habe ich mich am Tag nach den Wettkämpfen immer gut gefühlt. Entscheidend wird im Falle einer Qualifikation fürs Finale sicher sein, was ich im Vorlauf dafür aufbringen musste. Zum Glück geht es den anderen Läuferinnen ähnlich.

Beim Zuschauen hatte man zuletzt den Eindruck, dass Sie sich in der Halle mit den engen Kurven trotz Ihrer Größe von 1,85 Metern ziemlich wohlfühlen. Bereitet Ihnen das gar keine Schwierigkeiten?

Christina Hering:

Ich kann nach diesem Winter zumindest nicht mehr behaupten, dass ich mit der Halle nicht gut zurechtkomme. Ich habe schon im Training gemerkt, dass ich plötzlich ungewöhnlich gut mit den Kurven klarkomme. Aber natürlich bleibt es etwas anderes in der Halle zu rennen. Über die 400 Meter habe ich gemerkt, dass es ab einer gewissen Geschwindigkeit für mich schwierig wird. Hinzu kommt, dass jede Hallenbahn anders ist.

Neben Bundestrainer Henning von Papen hat auch Ihr langjähriger Heimtrainer Daniel Stoll, der Sie schon betreut seitdem Sie 16 Jahre alt sind, die Möglichkeit mit nach Portland zu reisen. Stärkt Sie das?

Christina Hering:

Die gute Betreuung ist ein riesiger Vorteil. Daniel kennt mich sehr gut und weiß zum Beispiel, wie ich mich in der Wettkampfvorbereitung verhalte. Es gibt mir ein gutes Gefühl, wenn er mir vor dem Rennen bestätigt, dass alles passt. Auch beim gemeinsamen taktischen Vorbesprechen sind zwei Trainer von Vorteil.

Das Oregon Convention Center ist in eine Leichtathletik-Halle verwandelt worden, die Medaillen werden auf dem Pioneer Courthouse Square, dem zentralen Platz der Stadt, übergeben. Die Zeremonie für die 800 Meter der Frauen ist am Sonntag. Ist das nur ein Traum?

Christina Hering:

Es ist der Traum eines jeden Sportlers, eine Medaille zu gewinnen. Wenn man nun sieht, dass es extrem eng ist, ist eine Medaille nicht außer Reichweite. Aber ich möchte mir gar nicht so viele Gedanken darüber machen, sondern erstmal ins Finale kommen. Darauf liegt mein Hauptfokus, das motiviert mich ungemein. Bedenkt man, dass von sechs Finalteilnehmerinnen die Hälfte eine Medaille bekommt, dann scheint alles offen.

Blicken Sie schon über die Hallen-WM hinaus? Der Sommer ist mit der EM in Amsterdam (Niederlande) und den Olympischen Spielen in Rio (Brasilien) sicher auch ein besonderer.

Christina Hering:

Von Portland aus reise ich direkt weiter nach Flagstaff in Arizona. Dort habe ich ein paar Tage Ruhe, bevor drei Wochen Höhentrainingslager auf dem Programm stehen. Mitte April komme ich wieder nach München zurück und kurz darauf geht es dann nochmal für eine Woche nach Kienbaum, um mir den letzten Schliff für den Sommer zu holen. Anfang Mai starten die Wettkämpfe wieder und ich bin jetzt schon gespannt, was draußen möglich ist.

Der letzte Sommer lief ja überragend. Bronze bei der U23-EM in Tallinn, Deutsche Vizemeisterin in Nürnberg und das Erreichen des WM-Halbfinales in Peking. Ist mit dem Unterbieten der Zwei-Minuten-Marke im letzten Jahr ein Knoten geplatzt?

Christina Hering:

Ja, das war wohl rückblickend so. Fabienne [Kohlmann; Anm. d. Red.] ist etwa zwei Wochen zuvor als erste Deutsche seit einer gefühlten Ewigkeit unter zwei Minuten gelaufen. Vorher haben wir uns immer gewundert, was das für internationale Normen sind, die seit mehr als zehn Jahren keiner mehr unterboten hatte. Als Fabienne es geschafft hatte, wusste ich, dass ich es ebenfalls drauf habe. Wir trainieren täglich miteinander und liegen dort gleichauf. Zudem bin ich zuvor ja schon Bestzeit und B-Norm gelaufen. Wie das Rennen in Nürnberg dann ablief, war grandios. Anschließend habe ich deutlich gemerkt, dass man sich mit dieser Leistung in einer anderen Liga bewegt, dass die großen Namen, die immer weit weg schienen, plötzlich neben einem stehen.

Die 800-Meter-Vorläufe der Frauen starten am Samstag (19. März) um 19:15 Uhr deutscher Zeit, das Finale findet am Sonntag (20. März) um 21:30 Uhr statt.

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