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Der größte Wurf der Geschichte

Der Speer hörte gar nicht mehr auf zu fliegen: Am 20. Juli 1984 warf Uwe Hohn in Berlin das 800 Gramm schwere Gerät auf 104,80 Meter. Es war der weiteste Wurf der Leichtathletik-Geschichte und wird es (wohl) auch für immer bleiben. Denn den neuen Speer mit veränderten Flugeigenschaften hätte es auch ohne den Weltrekord beim „Olympischen Tag“ vor genau 30 Jahren gegeben.
Gerd Michalek

Wir schreiben den 20. Juli 1984: Ein silbergrauer, 800 Gramm schwerer Alu-Speer fliegt von einem Fußballtor bis fast zum anderen Tor. Der Kommentator im Ludwig-Jahn-Stadion (Ostberlin) erhebt beim „Olympischen Tag“ die Stimme: „Es war genau 19:54 Uhr im zweiten Versuch – Uwe Hohn aus Potsdam. Und er hat nicht nur die 100 Meter gekitzelt, er hat 104 Meter und 80 Zentimeter erreicht!“

Des Speerwerfers höchstes Glück – dass sein Speer nicht aufhört zu segeln, wurde für den DDR-Werfer Wirklichkeit. Vier Tage nach seinem 22. Geburtstag erzielte der 1,98 Meter große Potsdamer den ersten – und bislang letzten – Wurf über die magische 100-Meter-Marke in der gut 100-jährigen Leichtathletik-Rekordgeschichte. Hohn ließ damit auch Sorgenfalten bei den Funktionären entstehen. Sein Wurf landete nicht weit von einer Hochsprungmatte entfernt. Auch Sportler und Zuschauer waren besorgt.

Keine Abdrücke im Gras

Es gab nicht allein diesen Sicherheitsaspekt. Über eine Reform wurde noch aus anderen Gründen diskutiert. Im Zuge einer professionalisierten Leichtathletik, bei der wenige Zentimeter über Goldmedaillen, Siegprämien und Sponsorenverträge entscheiden können, musste endlich Schluss sein mit Diskussionen um zweifelhafte Würfe, die keinen Einstich im Rasen hinterließen. Ein Dauerthema beim „Segelspeer“, der nach der Landung oft weiterrutschte. Das sorgte immer wieder für Unmut bei Sportlern – und vor allem Kampfrichtern, die letztlich über Sieg und Niederlage entscheiden mussten. Hohns Wurf blieb übrigens stecken.

Schon am 15. Mai 1983 war der US-Amerikaner Tom Petranoff der 100-Meter-Grenze bedenklich nahe gekommen. In Los Angeles flog sein Speer auf stolze 99,72 Meter. Drei Jahre zuvor hatte der Ungar Ferenc Paragi als Erster – mit 96,72 Metern – die 95 Meter-Marke geknackt. Deshalb befasste sich die IAAF schon rund zwei Jahre vor Hohns Wurf mit einer Regeländerung, sagt Imre Matrahazi, Technischer Manager der IAAF. Auch ohne Hohns „Wurf für die Ewigkeit“ wäre die Reform gekommen.

Schon Ende Juli 1984 beschloss die IAAF, künftig Speere mit aerodynamisch ungünstigeren Flugeigenschaften bauen zu lassen. Der Schwerpunkt kam einige Zentimeter nach vorn. Die Speere landeten früher. Weltweit musste jeder Wettkämpfer das veränderte Gerät benutzen. Der Weltrekord „purzelte“ zunächst nach unten.

Tafelmeier wurde erster Weltrekordler einer neuen Ära

Nach dem Reform-Stichtag am 1. April 1986 kamen die Weltbesten zunächst nur noch auf 80-Meter-Weiten. Nicht wenige Werfer ärgerten sich, so weit unter ihren bisherigen Bestweiten zu bleiben. In Einzelfällen stellten sie den neuen Spieß frustriert in die Ecke. Nicht so Klaus Tafelmeier. Der schlanke Leverkusener wurde am 21.9.1986 zum ersten Weltrekordler einer neuen Ära.

„In Como kam ich auf 85,74 Meter. Da die beste Leistung in diesem Jahr als erster Weltrekord anerkannt wurde, war ich eben der Glückliche, der sich in die Liste eintragen durfte“, erinnert sich der Europameister von 1986. Der beabsichtigte Zweck der Reform war erfüllt: Die Speere stecken nach dem Flug im Boden, was den Kampfrichtern die Arbeit erleichterte.

Auch Frauen-Speer verändert

Der frühere Segelspeer galt als Gerät, das feinfühligen Werfern besonders lag. Beim neuen Gerät erwarteten Experten, dass er eher den „Kraftwerfern“ zugutekäme. Das hat sich jedoch nicht bewahrheitet. Viele heutige Weltklasse-Werfer sind keine Muskelprotze, sondern schnellkräftige und technisch ausgereifte Werfer. Bester Beweis ist der schlanke Tscheche Jan Zelezny, der im Mai 1996 unerreichte 98,48 Meter mit dem neuen Gerät erzielte.

Gut zehn Jahre nach der Männerspeer-Reform zogen die Frauen nach. Ihr um 200 Gramm leichteres Wurfgerät wurde in den späten 1990ern ebenfalls durch Schwerpunktverlagerung verändert. Dadurch beendet der „Fabel“-Weltrekord von 80,00 Metern, den DDR-Werferin Petra Felke 1988 mit dem Segelspeer erzielte, das alte Rekordkapitel.

Wie viele Weltrekorde aus den 1980ern besitzen die beiden Ausnahmewürfe einen schalen Beigeschmack. Sowohl Felkes wie Hohns Name tauchen in den nach der Wende veröffentlichten DDR-Unterlagen zum Doping-Missbrauch auf. Für Hohn sind exakt 1.135 Milligramm Oral-Turinabol für das Jahr 1985 vermerkt. Das ist weniger als bei den meisten anderen DDR-Werfern aus der Doping-Hochzeit.

Durch die Reformen wird es sobald keine 80-Meter-Würfe bei Frauen und 100-Meter-Würfe bei Männern mehr geben. Oft reichen bei den Männern 85 bis 88 Meter für internationale Medaillen, bei den Frauen sind es meist 65 bis 68 Meter.

<link>Quelle: Leichtathletik - Ihre Fachzeitschrift

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