| Reportage

Ein Tag mit… Kai Kazmirek

Bundeswehr, Studium, Halbtagsjob oder Profi-Sport - das Leben der Athleten des Deutschen Leichtathletik-Verbandes (DLV) ist unterschiedlich. leichtathletik.de darf einen Blick in ihren Alltag werfen und einen Tag hautnah dabei sein. In der vergangenen Woche haben wir Zehnkämpfer Kai Kazmirek begleitet. Der angehende Polizeikommissar absolvierte im Oktober als Praktikant Schichtdienst im Polizeipräsidium Koblenz, bevor es am 1. November mit voller Kraft in die Saisonvorbereitung für 2015 ging.
Silke Morrissey

Kai Kazmirek starrt mit konzentriertem Gesichtsausdruck auf den Computer-Monitor. Neben ihm türmt sich auf dem ansonsten leeren Schreibtisch ein Stapel Papiere. Am Vortag hat er einen Diebstahl aufgenommen, der Vorgang muss dokumentiert werden. An den Staatsanwalt geht eine Strafanzeige gegen Unbekannt. Kollege Christopher Schmitz schaut dem Polizeikommissar-Anwärter über die Schulter. „An der Gliederung müssen wir noch arbeiten“, stellt er fest. „Der Staatsanwalt hat nur eine Minute Zeit, um das zu lesen“,  ergänzt Isabell Krebel vom Arbeitsplatz gegenüber.

Die beiden Polizeikommissare stehen dem jungen Kollegen während des Praktikums zur Seite. Wenn die Erfahrung fehlt, wenn neue Herausforderungen zu meistern sind oder wenn er vergessen hat, wie welche Vorgänge zu bearbeiten sind. „Das Schwierigste ist, wieder reinzukommen“, seufzt Kai Kazmirek. Schließlich ist die Arbeit bei der Polizei für ihn nicht Alltag, sondern Ausnahme. Der 23-Jährige ist Spitzensportler und zählt als amtierender U23-Europameister sowie EM-Sechster im Zehnkampf zu Deutschlands großen Hoffnungen für die Olympischen Spiele 2016 in Rio (Brasilien).

Der Zehnkämpfer hat vor drei Jahren einen der begehrten Plätze in der Polizei-Sportfördergruppe von Hessen und Rheinland-Pfalz ergattert. Nur maximal vier  neue Studenten werden hier pro Jahr von der Polizei Rheinland-Pfalz aufgenommen, 2011 war Kai Kazmirek einer von ihnen. Der Landessportbund hatte ihm die Ausbildung empfohlen, er selbst hatte auch schon mit dem Gedanken geliebäugelt. Die Polizei ist ein sicherer und flexibler Arbeitgeber. Mit der gestreckten Ausbildungszeit von drei auf viereinhalb Jahre haben Sportler in der Fördergruppe ausreichend Zeit für Training, Trainingslager und Wettkämpfe.

Groß angelegte Verkehrskontrolle

Auf dem Flur des Koblenzer Polizeipräsidiums wird es unruhig. Die Kollegen der Frühschicht, mit denen Kai Kazmirek um 5:30 Uhr seinen Dienst begonnen hat, wollen den Tag mit einer groß angelegten Verkehrskontrolle abschließen. Kai Kazmirek schnappt sich seine schusssichere Weste und die Polizeimütze und schwingt sich in eines von drei Polizeiautos. „Dass mir keine Klagen kommen!“ ruft Dienstgruppen-Leiterin Jutta Pauli ihren Mitarbeitern lachend hinterher.

Die Beamten postieren sich unter einer Brücke am Rhein. „Guten Tag, allgemeine Verkehrskontrolle – die Zulassungspapiere bitte!“ Kai Kazmirek beugt sich hinunter zu einem geöffneten Autofenster und begrüßt einen älteren Herren, der sogleich hektisch im Handschuhfach kramt. „Ganz ruhig“, beschwichtigt Kai Kazmirek. Nachdem der Herr auch seinen Führerschein, Warndreieck, Warnweste und Verbandskoffer („Der ist nur noch bis nächstes Jahr gültig, darauf müssen Sie achten“) vorgezeigt hat, darf er wieder fahren.

Kollegen fiebern mit

„Viele sind aufgeregt, wenn sie angehalten werden“, erklärt der Polizeikommissar-Anwärter. Selten liegt das allerdings daran, dass sie es mit einem der besten Sportler Deutschlands zu tun haben – die wenigsten erkennen den Zehnkämpfer. Tun sie es doch, gefällt ihm das nicht immer. „Wenn es sich um Verdächtige handelt, ist das nicht so toll“, erklärt er. Ist er nicht im Dienst, freut er sich dagegen über die Anerkennung. Besonders Jüngere sprechen ihn an, berichtet er, sogar im Urlaub auf Mallorca kamen Fans auf ihn zu.

Drei Jahre in Folge Zehnkämpfe auf einem Niveau jenseits der magischen 8.000 Punkte, 2014 die Steigerung auf 8.471 Punkte, Platz sieben der Welt: Das Fachpublikum verfolgt die rasante Entwicklung des jungen Rheinländers schon lange akribisch. Während der EM in Zürich (Schweiz) haben auch die Kollegen der Koblenzer Polizei mitgefiebert. „Wir haben hier alle den Zehnkampf geschaut“, berichtet Christopher Schmitz.

Auf Arbeit folgt Training

Um 14:30 Uhr versammeln sich die Beamten der Schutzpolizei wieder an den Polizeiwagen, Ende der Verkehrskontrolle, Ende der Schicht – endlich, nach mittlerweile fast neun Stunden Dienstzeit. Für Kai Kazmirek ist der Tag aber noch lange nicht zu Ende. Er verabschiedet sich im Polizeipräsidium von den Kollegen und steigt ins eigene Auto, das schwer zu übersehen ist. „Kai Kazmirek, U23-Europameister im Zehnkampf“ prangt hier in großen Lettern, alle zehn Disziplinen des Zehnkampfs sind abgebildet.

Ein Abstecher nach Hause steht auf dem Programm, kurz die Sportsachen holen. Der 23-Jährige wohnt noch im Haus der Eltern, zehn Autominuten von Koblenz entfernt im Örtchen St. Sebastian. In zwei Jahren will er mit seiner Freundin Natalie zusammen ziehen, bis dahin ist das Elternhaus eine praktische Alternative – inklusive Wäscheservice.

Kai Kazmireks ältere Schwester ist vor kurzem ausgezogen – ein Zimmer mehr, in dem der Zehnkämpfer seine Sportsachen unterbringen kann. „Ich habe vier große Schränke nur für meine Sportklamotten“, lacht er. Im Keller des Hauses präsentiert er ein eigene kleine Abstellkammer für seine Sportschuhe – zwei Paare für jede Disziplin, eines davon für Wettkämpfe, eines fürs Training.

Familie von Sportfieber angesteckt

Vater Andree Kazmirek, Geschäftsführer des Neuwieder LC, Heimatverein von Kai Kazmirek, kocht einen Kaffee, während Kai seine Sachen packt. Die Eltern des Zehnkämpfers sind bei allen großen Wettkämpfen ihres Sohnes dabei ("Die kennen sich echt gut aus"), sie sind seine größten Fans – und seine größten Kritiker. „Meine Frau und ich waren in Zürich ziemlich sauer über den Verlauf der 1.500 Meter“, erzählt Andree Kazmirek. 14 Punkte fehlten bei der EM zu einer neuen Bestleistung. Verspielt hatte Kai Kazmirek die aber schon vorher beim Stabhochsprung mit nur 4,60 Metern.

Auch der Athlet selbst ärgert sich noch immer ein wenig über die verpasste Chance auf Bestleistung und EM-Edelmetall. Verbissen sieht er das Ganze aber nicht. Gefragt nach seinen nächsten Zielen gibt er stets das Motto „Gesund bleiben und Spaß haben“ aus – und das nimmt man ihm voll und ganz ab.

Am Ende des Jahres hätte Kai Kazmirek mit einem Start in Talence (Frankreich) die Chance auf den Sieg in der IAAF World Combined Challenge und 30.000 US-Dollar Preisgeld gehabt. Er zog eine längere Trainings- und Wettkampfpause und den Urlaub mit der Familie in Südafrika vor. „Es geht mir nicht um Geld“, betont er. Da wäre er im Zehnkampf auch falsch aufgehoben.

Topleistungen ohne Ernährungsplan

Es ist 15:30 Uhr und der Magen knurrt. Kai Kazmirek holt sich einen Lebkuchen aus dem Schrank und stillt den ersten Hunger. Ob er besonders auf seine Ernährung achtet? Kai Kazmirek grinst. „Jedes Jahr fange ich wieder damit an“, sagt er und schiebt sich noch ein Stück Baumkuchen in den Mund. Er habe Glück, bisher sei er auch ohne Ernährungsplan gut ausgekommen. Essen muss aber natürlich sein, vor allem nach einem langen Arbeitstag und wenn noch eine Trainingseinheit ansteht. So geht’s kurz zum Italiener, bei dem Kai Kazmirek ein Pasta-Gericht bestellt.

Die Grundlage für die nächste Etappe des Tages ist gelegt: Krafttraining in der Koblenzer Conlog-Arena. Hier können die Leichtathleten einen Kraftraum nutzen sowie die Mehrzweck-Halle und einen kleinen Laufschlauch mit Weitsprung-Grube. Außerdem haben sie einen Schlüssel zum angrenzenden Sportplatz mit Flutlicht-Anlage – hier wird auch im Winter oft draußen trainiert.

Krafttraining mit Celina Leffler

Kai Kazmireks Trainer Jörg Roos ist noch im Urlaub. Den Start der intensiven Saisonvorbereitung hat das Gespann auf die Zeit nach dem Polizeipraktikum verschoben – ein Vorteil der langfristigen Studienplanung. Trainer und Athlet wissen während der viereinhalb Ausbildungsjahre immer genau, wann Theorie- und Praxisphasen anstehen, und können die Trainingsblöcke entsprechend legen.

Alleine trainieren muss der Zehnkämpfer an diesem Abend nicht. Im Kraftraum warten schon Siebenkämpferin Celina Leffler, Vierte der U20-WM, und Hürdensprinterin Viktoria Müller (beide SSC Koblenz-Karthause) mit ihrem Trainer Holger Klein. Es geht familiär zu, Holger Klein hat seinen Sohn und seine Mutter dabei, es wird gelacht und gescherzt. „Der ist genauso ein Jammerlappen wie du“, sagt Holger Klein zu Celina Leffler, als Kai Kazmirek sich nur widerwillig der nächsten Übung widmet. Krafttraining – die ungeliebteste Einheit des Mehrkämpfers, der am liebsten die Sprünge mag.

Über Südafrika nach Prag

Kai Kazmirek setzt sich auf eine Hantelbank und stützt den Kopf in die Hände. Er sieht müde aus, hin und wieder kann er ein Gähnen nicht unterdrücken. Die Uhr zeigt 19:00 Uhr. Eine Übung noch, dann ist auch das Krafttraining überstanden. Den Abend wird der Zehnkämpfer beim Kochen mit Celina in der Leffler-Familie ausklingen lassen.

Es wird eine kurze Nacht werden, am nächsten Tag steht die nächste Frühschicht bei der Polizei an. Die Praktikumsphasen verlangen dem Sportler einiges ab. Aber sie tragen dazu bei, dass Kazmirek ohne Existenzängste seiner Leidenschaft nachgehen kann: dem Zehnkampf.

Im November und Dezember verschwindet die Polizeiuniform erst einmal wieder im Schrank. Die Teamwoche der Mehrkämpfer in Kienbaum und das Trainingslager des DLV-TopTeams in Südafrika stehen an. Kai Kazmirek plant mit einer Hallensaison und einem Start bei der Hallen-EM in Prag (Tschechische Republik). 2014 waren die Auftritt in der Halle der Auftakt zu einer herausragenden Zehnkampf-Saison. Ob es 2015 nahtlos so weitergeht? Das werden sicher nicht nur die Kollegen des Polizeipräsidiums in Koblenz gebannt verfolgen.

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