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Jan Ruhrmann: Arbeiter mit 8.000-Punkte-Potenzial

Sein Tag ist straff durchorganisiert, Maschinenbaustudium und Leistungssport fordern Jan Ruhrmann gleichermaßen. Doch das Pendeln zwischen Hörsaal, Trainingsstätte und dem Schlafplatz im Sportinternat scheint dem Zehnkämpfer von der LAV Bayer Uerdingen/Dormagen nicht zu schaden. Der 19-Jährige verbesserte sich immens und preschte nur hauchdünn an der 8.000-Punkte-Marke vorbei. Ein kometengleicher Aufstieg in die U20-Weltklasse – auch dank forciertem Krafttraining.
Harald Koken

Es war Paukenschlag und Donnerhall gleichermaßen: Nur winzige 28 Zähler fehlten Zehnkämpfer Jan Ruhrmann Ende Mai in Marburg an der magischen 8.000-Punkte-Marke. Mit einer regelrechten Leistungsexplosion steigerte sich der 19-Jährige um satte 665 auf 7.972 Punkte. „Sieben Bestleistungen, eine Saison-Bestleistung – das war schon ein Wettkampf, den man nicht so schnell vergisst“, blickte der mit dem Gardemaß von 1,96 Meter ausgestattete Allrounder auf seinen beispiellosen Parforceritt zurück.

„Nach dem 1.500-Meter-Lauf habe ich es selbst nicht geglaubt. Ich habe nicht realisiert, welche Punktzahl ich gemacht hatte. Nach fünf Minuten Nachdenken und Gesprächen mit Heimtrainer und Bundestrainer wurde mir allmählich klar, was ich geleistet hatte“, sagte der Oberhausener, der im Vorjahr Deutscher U20-Meister und 17. der U20-EM war. Beim Sieg von Niklas Kaul (USC Mainz; 8.162 Punkte) sprang jetzt bei der U20-WM in Bydgoszcz (Polen) Platz sechs heraus.

Nervlich allzu angespannt

Zwar engagiert, aber offenbar noch nicht abgebrüht genug zahlte Jan Ruhrmann dort Lehrgeld. „Ich habe gemerkt: Ich bin Favorit, ich müsste eigentlich mehr leisten als bei der Quali. Das hat mich mental vor allem bei den Würfen rausgebracht“, erklärte der Rheinländer. „Die mentalen Schwierigkeiten waren wohl größer als die physischen, was sich in der Technik bemerkbar gemacht hat. Natürlich wäre es schön gewesen, mit Edelmetall zurückzukommen.“

Schon während seiner Zeit bei der DJK SG Tackenberg, wo er einst als Erstklässler mit der Leichtathletik begann, machten die Würfe Probleme. Auch um diese Schwachstellen zu beheben, wurde vor Jahresfrist mit dem Wechsel nach Dormagen Krafttraining ins Programm aufgenommen. Die Folge: Jan Ruhrmann legte muskulär gehörig zu. Kugel, Speer und Diskus flogen in diesem Sommer deutlich weiter.

Michael Kühnke unterstützt Dirk Zorn

Verantwortlich für das Training zeichnet Dirk Zorn. Der 49-Jährige ist diplomierter Sportwissenschaftler. „Er kennt genau die Punkte, die er bei mir anfassen muss. Er motiviert genug, aber nicht zu viel. Er bremst, wenn man übermotiviert ist. Das ist genau das, was ich brauche“, charakterisiert Jan Ruhrmann seinen Coach. Im Stabhochsprung unterstützt Michael Kühnke. „Er hat ja auch Björn Otto trainiert. Für mich eine sehr gute Lösung“, urteilt der talentierte Mehrkämpfer.

Den soliden Aufbau bei seinem Stammverein möchte er nicht missen. „Ich bin noch Vereinsmitglied. Meine Eltern starten im Seniorenbereich für die DJK SG Tackenberg. Zwischendurch war ich auch mal vor Ort und habe noch einmal beim Training mitgemacht. Wenn ich am Wochenende mal da bin, trifft man sich auf dem Platz“, sagt der angehende Ingenieur und zollt den Wegbereitern um Ellen Weber einen Riesen-Respekt. Honorierend, dass daheim die Grundlagen für den Höhenflug dieses Sommers gelegt wurden.

Sportinternat als Wohnsitz

Sein aktuelles Domizil ist das Sportinternat im Dormagener Ortsteil Knechtsteden. „Dort wird mir in vielen Bereichen weitergeholfen. Die Atmosphäre ist super. Vor allen Dingen, weil man mit der Trainingsgruppe zusammen wohnt. Das schweißt zusammen, das macht richtig Spaß“, erklärt Jan Ruhrmann. „Zudem findet man viele Leute aus anderen Sportarten, zum Beispiel Handball, Fechten, Ringen und Rad fahren. Jeder bringt andere Erfahrungen und Eindrücke rein.“

Parallel das Maschinenbaustudium im etwa 40 Kilometer entfernten Jülich voranzutreiben, erfordert höchste Disziplin. „Jeden Morgen zur Uni pendeln und dann zum Training, abends noch lernen, das ist sehr zeitaufwendig und manchmal anstrengender, als ich es mir vorgestellt hatte. Und manchmal auch nervig“, gesteht der Athlet. „Aber wenn man sich dann das Ergebnis anguckt mit den Superleistungen in diesem Jahr, dann lohnt sich der Aufwand.“

Spagat zwischen Sport und Studium

Die Herausforderung, sich bei höchster Anspannung voll zu motivieren, um dann auf den Punkt genau Leistung zu bringen, gilt dort wie hier. Sich ein Ziel zu setzen und es dann mit langem Atem anzugehen – für Jan Ruhrmann Reiz und Auftrag gleichermaßen. So hat er die Vorbereitungen auf das kommende Jahr bereits in Angriff genommen und die U23-EM – wieder in Bydgoszcz – im Visier.

Die Mindestleistung: 7.600 Punkte. Das ist sicher machbar, auch wenn Kugel und Diskus schwerer und die Hürden höher werden. „Ich bin nirgendwo an meiner Grenze. Technisch ist überall noch sehr viel Ausbaupotenzial“, sagt Jan Ruhrmann, der seine Reserven kennt und zuversichtlich ist, noch eine Schippe drauflegen zu können. Nicht ausgeschlossen, dass er mit seiner nächsten Leistungsexplosion noch einmal einen Riesenknall auslöst.

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