| Karriereende

Liu Xiang - Volksheld mit viel Tragik

Chinas Hürdenstar Liu Xiang hat nach langer Verletzungsmisere am Dienstag offiziell das Ende seiner Karriere verkündet. Nach Bilderbuchjahren erlebte der 31-Jährige vor allem tragische Momente.
Jan-Henner Reitze

Sein Aufstieg war unaufhaltsam und für einen chinesischen Athleten einzigartig: Schon im Alter von 18 Jahren sprintete Liu Xiang die 110 Meter Hürden in 13,12 Sekunden - im B-Lauf des Meetings in Lausanne (Schweiz). Asienrekord und bis heute U20-Weltrekord über die Männerhürden. Zu diesem Zeitpunkt war der Aufsteiger schon Studenten-Weltmeister, die internationale Karriere hatte mit Rang vier bei der U20-WM im Jahr 2000 begonnen.

Im Jahr 2003 wurde der Chinese dann in keine B-Läufe mehr gesteckt. Ganz im Gegenteil: Schon in der Halle war er als WM-Dritter mitten drin im Konzert der Großen. Bronze gab es auch bei der folgenden Freiluft-WM in Paris (Frankreich).

Noch ein Jahr brauchte es, um ganz oben anzukommen: In Athen (Griechenland) stellte Liu Xiang in 12,91 Sekunden im Olympia-Finale den Weltrekord ein und gewann als erster männlicher Leichtathlet olympisches Gold für seine Nation. Ein Held war geborgen, der in seiner Heimat wie ein Popstar gefeiert wurde. Nicht nur sein Erfolg und seine Eleganz packten die Chinesen - gleichzeitig blieb der Star bescheiden und sorgte dafür, dass ihm noch mehr Sympathien zuflogen.

Weltrekord und Olympia in der Heimat

Der nächste absolute Höhepunkt folgt 2006 - wieder in Lausanne. In 12,88 Sekunden gelang ein neuer Weltrekord. 2007 folgte WM-Gold in Osaka (Japan). Mit Gold bei der Hallen-WM 2008 war die Sammlung der großen Titel komplett.

Und alles sah danach aus, dass sich Liu Xiang bei Olympia in seiner Heimat in Peking (China) endgültig unsterblich machen würde. Auf dem Gesicht der Spiele lag zwar eine große Bürde, aber wer sollte dem sonst standhalten, wenn nicht der Titelverteidiger mit einer ganzen Nation im Rücken?

Tragischer Auftritt in Peking

Es kam anders: Schon im Vorfeld der Spiele musste Liu Xiang Rennen absagen. Nach einem vielversprechenden Saisonstart machte die Achillessehne Probleme. Ganz China betete dafür, dass der Nationalheld beim Jahreshöhepunkt antreten und siegen kann. Der Jubel war grenzenlos, als der von Schmerzen geplagte Athlet das „Vogelnest“ von Peking zum Vorlauf betrat. Dieses Rennen im Vorfeld absagen, das war undenkbar. China wollte seien Helden sehen.

Die Schmerzen in den Füßen standen Liu Xiang ins Gesicht geschrieben, nur zögerlich ging er in den Startblock, als das Kommando dafür kam. Er versuchte dann mit Druck auf dem Block zu starten, aber: Rückschuss, Fehlstart. Nach wenigen, schmerzverzerrten Schritten kehrte der Hürdensprinter um, stellte sich aber nicht mehr hinter seinen Block, sondern verließ das Stadion. Irgendwo in den Katakomben sinkt Liu Xiang niedergeschlagen zu Boden - aus der Traum, eine Nation weint. Der Körper ihres Idols streikt.

Erst Rückkehr dann wieder ein geplatzter Traum

Nicht ahnend, dass noch ein zweiter ebenso tragischer olympischer Moment folgen sollte, kämpfte sich Liu Xiang zurück. Das Glück hatte er dabei allerdings nicht auf seiner Seite: Bei der WM 2011 sah es so aus, als könnte der Chinese auf den letzten Metern noch Dayron Robles (Kuba) abfangen. Doch es kam zu einer Berührung. Liu Xiang wurde langsamer und kam als Dritter ins Ziel. Später rückte er auf den Silberrang nach vorne, weil Dayron Robles disqualifiziert wurde, der als Erster durchs Ziel gelaufen war. Silber folgte auch bei der Hallen-WM 2012.

Rechtzeitig zu den Olympischen Spielen von London (Großbritannien) schien Liu Xiang wieder zur Form seiner goldenen Jahre zu finden. Nach fünf Jahre blieb die Uhr beim Diamond League-Auftakt in Shanghai (China) wieder unter der 13-Sekunden-Grenze stehen (12,97 sec). In Eugene (USA) folgten windunterstützt sogar 12,87 Sekunden. Sollte es ein goldenes Happy-End bei Olympia geben?

Nein - stattdessen spielte sich wieder ein Drama im Vorlauf ab. Der Chinese trat in die erste Hürde. Blieb danach sitzen und griff sich an den rechten Fuß. Die Achillessehne war gerissen. Das Ziel wollte er aber diesmal unbedingt erreichen. Auf einem Bahn hüpfte Liu Xiang die Bahn entlang, hielt an der letzten Hürde kurz inne, küsste sie und hüpfte dann weiter durchs Ziel, um dann in einem Rollstuhl Platz zu nehmen und sich aus der Arena fahren zu lassen. Wieder hatte der Körper dem Traum vom Olympia-Gold einen Strich durch die Rechnung gemacht. Wieder war eine ganze Nation mit ihrem Helden niedergeschlagen. Es sollte der letzte Start überhaupt gewesen sein.

Karriereende ohne Happy-End

Die Versuche eines erneuten Comebacks scheiterten.  Auch zur Heim WM in Peking (22. bis 30. August) ist eine Rückkehr nicht möglich. Das musste Liu Xiang schon zu Beginn des Jahres eingestehen. Nach langem Ringen hat er seine Karriere am Dienstag offiziell für beendet erklärt mit den Worten: "Ich bin krank und ich bin alt. Das ist eine endgültige Entscheidung. Sie war schmerzhaft, aber ich habe keine andere Wahl."

Noch einmal leidet eine Nation mit ihrem Helden, den sie dennoch im Herzen behalten wird. Was bleibt von der Karriere als rein sportliche Bilanz? Sechs reguläre Zeiten über 110 Meter Hürden unter 13 Sekunden, Gold bei Olympia, WM und Hallen-WM, ein Weltrekord sowie sechs weitere Medaillen bei Weltmeisterschaften.

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