| Studien-Ergebnisse

Prothesen-Weitspringer Markus Rehm nimmt IAAF in die Pflicht

Jetzt ist der Leichtathletik-Weltverband IAAF an der Reihe. Prothesen-Weitspringer Markus Rehm hat seinen Part erfüllt und untersuchen lassen, ob seine Karbonschiene einen Vorteil bringt oder nicht. Eine eindeutige Antwort fanden die Wissenschaftler nicht. Der Athlet wäre mit einem Olympiastart außerhalb der Wertung zufrieden.
Christian Ermert/dpa

Seine Botschaft war nicht zu übersehen im Deutschen Sport- und Olympiamuseum: "Auf dem Sprung nach Rio!" Und damit machte Prothesen-Weitspringer Markus Rehm in Köln klar, was er diesen Sommer erreichen will: den Doppelstart bei den Olympischen Spielen und bei den Paralympics in Brasilien.

Ob das so kommt, ist aber weiter völlig offen. Rehm hat seinen Part zwar erfüllt, untersuchen zu lassen, ob seine Prothese einen Vorteil bringt oder nicht. Aber die Wissenschaftler aus Köln, Japan und den USA kommen zu dem Ergebnis, dass "zu diesem Zeitpunkt nicht eindeutig ausgesagt werden kann, dass die Prothese von Markus Rehm ihm beim Weitsprung einen oder keinen Gesamtvorteil gegenüber nichtbehinderten Athleten bietet", heißt es im schriftlichen Resümee.

"Fundamental andere Technik"

Professor Wolfgang Potthast, der die Untersuchungen an der Deutschen Sporthochschule in Köln geleitet hat, fasste die Ergebnisse so zusammen: Die behinderten Athleten haben Nachteile im Anlauf, die der Prothese zugeordnet werden. Beim Absprung sind die Prothesen-Springer allerdings deutlich im Vorteil, weil die Karbon-Prothesen viel mehr Energie speichern und dem Springer zurückgeben als das System aus Muskeln, Sehnen, Bändern und Knochen.

Die wichtigste Erkenntnis sei allerdings, dass Springer mit Prothesen mit einer "fundamental anderen Technik" weitspringen als nicht-behinderte Athleten. "Das haben wir vor den Untersuchungen nicht gewusst", erklärte Potthast. An der Untersuchung haben neben Markus Rehm zwei weitere Prothesenspringer und sieben nichtbehinderte Weltklasse-Athleten mit Bestweiten von bis zu 8,50 Metern teilgenommen.

IAAF in der Pflicht

Nun ist der Leichtathletik-Weltverband IAAF am Zug und in der Pflicht, meint Rehm. Nach dessen zu Beginn des Jahres in Kraft getretenen Regeln müssen behinderte Athleten selbst nachweisen, dass ihnen ihre Karbonprothesen keinen Vorteil bringen, wenn sie in einem Wettkampf zusammen mit nicht-behinderten Sportlern antreten wollen.

Hinter dieser Regel habe sich die Dachorganisation bislang "erfolgreich versteckt". sagte Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes. "Wenn es kein Vorteil ist: Was hält dann noch auf?", und forderte: "Die IAAF muss aus der Deckung heraus." Bei diesen offenen Fragen könne sich die IAAF "nicht in die Büsche schlagen".

Studie liefert nur Zwischenergebnis

Dabei ist sich Markus Rehm durchaus bewusst, dass die vorliegende Studie nur ein Zwischenergebnis zur Beantwortung der Frage liefert, ob Karbonprothesen Weitspringern Vorteile bringen oder nicht. Er wünscht sich für Olympia in Rio, in einem Wettkampf, aber mit getrennter Wertung zusammen mit den nicht-behinderten Athleten anzutreten. "Was genau ist das große Problem eines inklusiven Wettkampfes mit getrennter Wertung? Das würde ich gern mal mit der IAAF besprechen", meinte er.

So hält es auch der Deutsche Leichtathletik-Verband (DLV) bei seinen Deutschen Meisterschaften und großen Events wie dem Berliner ISTAF. "Jetzt muss geprüft werden, ob zur nächsten Council-Sitzung Mitte Juni noch ein Antrag auf eine Regeländerung gestellt werden kann", erklärte Gerhard Janetzky, Inklusions-Beauftragter beim DLV. Denn ein Start behinderter Athleten außerhalb der Wertung ist im Regelwerk für Olympische Spiele bisher nicht vorgesehen. Mit diesem Thema beschäftigt sich aber ohnehin bereits eine Expertengruppe der IAAF, der auch Janetzky angehört. 

In Sachen Inklusion habe die IAAF auch eine gesellschaftliche Verantwortung: "Und dieser muss sie sich stellen", forderte Rehm die Welt-Leichtathletik um deren Chef Sebastian Coe auf. Dabei geht es Paralympics-Gewinner Rehm in erster Linie nicht darum, ob er einen Doppelstart eventuell sogar juristisch einklagt: "Der Klageweg ist nicht mein erster Weg."

Medaille nicht im Mittelpunkt

Rehm, der seit einem Unfall 2003 unterhalb des rechten Knies amputiert und mit einer Hightech-Prothese als Behindertensportler zum Top-Athleten geworden ist, will dreierlei erreichen: Klärung des Sachverhalts auch durch die IAAF, Fairness und die Chance, "mich mit den Besten der Welt messen zu können".

Und zu diesem Kreis gehört er nun einmal, nicht nur bei den Sportlern mit Handicap. In der vergangenen Woche übertraf Rehm in Innsbruck mit 8,18 Metern die Olympia-Norm (8,15). "Mir geht es nicht darum, eine Medaille zu gewinnen", stellte der Orthopädie-Mechanikermeister zu seinen olympischen Absichten fest.

Er will aber gemeinsame Wettkämpfe für Sportler mit und ohne Handicap. "Man müsste die Veranstaltungen nicht so strikt trennen", sagte er zum Beispiel über die Olympischen und Paralympischen Spiele. Man könne mehr Inklusion schaffen, beispielsweise mit einem gemeinsamen Staffellauf bei der Übergabe der olympischen Flamme an die Paralympics-Sportler.

Rehm: "Schönes Ergebnis" der Studie

Rehm fühlt sich bestätigt, obwohl die von ihm verlangte Studie ein Risiko war. Sie hätte ja auch erbringen können, dass er als Weitspringer mit Prothese einen Vorteil hat. "Es ist ein schönes Ergebnis, dass man keinen Vorteil feststellen konnte." Jetzt könne er sich für Olympia einklagen, bemerkte Rehm mit dem Hinweis, dass auch bei ihm das Rechtsprinzip "im Zweifel für den Angeklagten" gelte.

Das aber ist nicht sein Ding. Er hat "einen ersten Schritt gemacht". Beucher möchte den generellen Kampf um die sportliche Gerechtigkeit weiterführen. "Wir geben nicht Ruhe. Denn es ist auch Teil einer Diskriminierung", warf der ehemalige SPD-Politiker der IAAF vor und forderte den Weltverband auf: "Seid fair, habt keine Angst vor einer Auseinandersetzung."

Mit Material der Deutschen Presse-Agentur (dpa)

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