| Portrait

Shawnacy Barber - Roadtrip nach Cottbus

Als Stabhochspringer Shawnacy Barber (Kanada) am Mittwochabend in Cottbus zum Springermeeting antrat, hatte er die größere Herausforderung schon hinter sich: Die beschwerliche Anreise in Form einer nächtlichen Autofahrt quer durch Frankreich und Deutschland. Dass der Weltmeister mit 5,77 Metern trotzdem in der Lausitz-Arena gewann, zeigt wie abgebrüht er mit gerade einmal 21 Jahren schon ist. Sein Erfolg steckt aber auch in seinen speziellen Stäben.
Jan-Henner Reitze

Rein äußerlich sieht man Shawnacy Barber zwischen seinen Kollegen im internationalen Spitzenfeld des Springermeetings in Cottbus an, dass er mit seinen 21 Jahren das "Nesthäkchen" ist. Dass er sportlich schon ein ganz Großer seiner Disziplin ist, beweist nicht nur der Sieg mit 5,77 Metern. Unterstrichen wird dies durch die Vorgeschichte.

Ohne Trainer, Manager oder sonstigen Begleiter hatte sich der Weltmeister nach seinem kometenhaften Aufstieg im vergangenen Jahr zu seiner ersten Hallentour durch Europa aufgemacht. Erste Station: Das Meeting in Rouen (Frankreich), wo am vergangenen Samstag mit 5,70 Metern Rang fünf heraussprang. Einen Tag später sollte es dann mit dem Flugzeug von Paris nach Berlin weitergehen, Flugzeit knapp zwei Stunden. Soweit der Plan.

Beim Check-In eröffnete ihm das Personal allerdings, dass die Stäbe nicht mitfliegen können. "Sie haben gesagt, das Flugzeug ist dafür zu klein", erzählt Shwanacy Barber. Ohne seine Arbeitsgeräte, die sich von anderen Stäben unterscheiden und damit die Möglichkeit des Ausleihens bei einem Kollegen erschweren, konnte es unmöglich weitergehen. Was also tun?

Mehr als zwölfstündige Autofahrt nach Cottbus

Statt zu hadern oder sich aufzuregen nahm der Sechs-Meter-Springer sein Schicksal - oder besser gesagt seine Stäbe - selbst in die Hand, mietete sich kurzerhand ein Auto, schnallte seine Stäbe aufs Dach, tippte Cottbus ins Navi ein und fuhr los, am Sonntagabend um 22 Uhr.

"Ich bin zum ersten Mal in Europa Auto gefahren. Das Straßensystem ist anders, mit all diesen Kreisverkehren", berichtete Shawnacy Barber, der auch ein Bild von seinem nächtlichen Roadtrip <link https: pbs.twimg.com media czilmrtueaegoey.jpg _blank>twitterte. "Ich kann auch nicht erklären, wie ich dabei ruhig bleiben konnte. Es war wirklich eine Reise."  Die endete am Montagvormittag um elf in Cottbus - also nach mehr als zwölf Stunden.

Nüchternes Fazit, als wäre der Trip nichts Außergewöhnliches gewesen: "Es war ein guter Lerneffekt. Wenn wieder so etwas passiert, weiß ich, dass ich die Situation meistern kann." Im Sportlerleben des Athleten war es nicht die erste Erfahrung, die seine Karriere und seine Persönlichkeit beeinflusste.

Aufwachsen mit dem Stab in der Hand

Im Alter von vier Jahren drückte Vater George, selbst Stabhochspringer und WM-Teilnehmer 1983 in Helsinki (Finnland), dem kleinen Shawnacy zum ersten Mal einen abgesägten Stab in die Hand. Der Sohn schwang sich zusammen mit seinem Bruder über Kanäle rund um die Farm der Familie im US-Bundesstaat New Mexico. Spielerisch näherte sich der heutige Weltmeister dem Stabhochsprung, ohne zu wissen, dass diese Bewegung überhaupt eine olympische Sportart ist.

In den USA geboren mit einem kanadischen Papa besitzt Shawnacy Barber die us-amerikanische und die kanadische Staatsbürgerschaft. Er startet für Kanada, begründet das mit der sportlichen Heimat seines Vaters und nennt Toronto (Kanada) ebenfalls seine Heimat.

Vater George, der im Alter von 54 Jahren immer noch regelmäßig an Wettkämpfen teilnimmt und im vergangenen Jahr beim Sieg seines Sohnes bei den Kanadischen Meisterschaften 3,80 Meter bewältigte, führte seinen Sohn weiter an den Stabhochsprung heran. Zwischenzeitlich stand aber auch mal Turmspringen im Fokus, wo turnerische Grundlagen trainiert wurden.

Aus Fehlern lernen

Nicht nur der Spaß an Bewegung ging Shawnacy Barber von klein auf in Fleisch und Blut über. Dazu gab ihm sein Vater auch noch eine Lebensphilosophie mit, die den Athleten bis heute prägt: Aus Fehlern kann man mehr lernen als aus Erfolgen, und erzwingen lässt sich schon mal gar nichts.

So fällt auch die Erklärung für den großen Leistungssprung des vergangenen Jahr eher philosophisch aus - in 19 Wettkämpfen war der 21-Jährige 2015 mit 5,80 Metern oder mehr höher gesprungen als jemals zuvor. "Ich setze mich hin und arbeite mit meinen Trainern. Wir merzen Fehler aus. Das ist ein Prozess und so springe ich höher und höher. Ich hoffe, dass es noch viele Jahre so weiter geht."

Das Jahr 2016 hat schon einmal mit einem Paukenschlag begonnen. Vor seiner Europa-Tour meisterte Shawnacy Barber als zweitjüngster Stabhochspringer der Geschichte in Reno (USA) die magischen sechs Meter. Nur Sergey Bubka (Ukraine) war beim ersten Sechs-Meter-Sprung der Geschichte überhaupt in Paris 1985 wenige Tage jünger.

Stäbe mit verändertem Biegeverhalten

So unbeschwert die Annäherung an den Stabhochsprung in der Kindheit und so wenig erfolgsbezogen die Philosophie auch klingen mögen, genauso wissenschaftlich haben die Barbers über Jahre die technische Komponente der heutigen Höhenflüge perfektioniert, für die es auch eine physikalische Erklärung gibt.

Die Stäbe von Shawnacy Barber sind mit 5,38 Metern die längsten in der Szene. Nur der mit einer Körpergröße von mehr als zwei Metern deutlich größere und schwerere Russe Viktor Chistyakov, Olympia-Fünfter in Sydney (Ausralien), ist in der Geschichte ähnlich lange Stäbe gesprungen. Mit der Länge der Stäbe verbunden ist auch, dass der Kanadier so hoch greift wie keiner seiner Kollegen und mit einem Abstand von etwa 4,45 Metern weit weg vom Einstichkasten abspringt.

Möglich macht das auch das Innenleben seiner Stäbe, die sich weiter oben biegen, als die bisher gängigen Arbeitsgeräte. "Eine Revolution ist das nicht, aber es ist eine wirkliche Weiterentwicklung", erklärt Bundestrainer Jörn Elberding. Tüfteln am Material gehört zum Stabhochsprung. In den vergangenen Jahren gab es aber wenig Bewegung auf dem Markt. Das könnte sich jetzt ändern. Die US-Firma Altius arbeitet seit Jahren mit Shawnacy Barber und seinem Vater zusammen, die veränderten Stäbe sind Produkt dieser Arbeit. Tobias Scherbarth und Karsten Dilla (beide TSV Bayer 04 Leverkusen) haben sich schon Stäbe der Firma bestellt. "Sie kommen aber nicht für jeden Springer-Typ infrage. Zu Raphael Holzdeppe passen sie eher nicht", so Jörn Elberding, der den jungen Kanadier technisch noch nicht ausgereift sieht. Es könnte also gut sein, dass da noch mehr kommt an Höhe.

Weiter auf deutschen Bühnen

Die nächsten Chancen auf Höhenflüge bieten Shwanacy Barber unter anderem das PSD Bank Meeting in Düsseldorf (3. Februar), das Indoor-Meeting in Karlsruhe (6. Februar) und das ISTAF Indoor in Berlin (13. Februar). Seine Zelte hat der Sieger der Panamerikanischen Spiele erst einmal in Leverkusen aufgeschlagen, wo er sich unter die DLV-Stabhochspringer mischt. Die Trainer um Leszek Klima hatten in Cottbus schon nach seinen Anlaufmarken geschaut.

Bei den kommenden Auftritten übernimmt das Manager Jeff Hartwig, selbst sechsmaliger Sechs-Meter-Springer, der zu seinem Schützling stößt und ihn begleitet. Die Hallen-Weltmeisterschaften in Portland (USA; 17. bis 20. März) stehen ebenfalls auf dem Plan.

Von wachsendem Druck durch seine Erfolge will Shawn Barber wissen. Eine Kampfansage in Richtung Olympiasieg ist ihm deshalb nicht zu entlocken. "Jeder will das Gold. Der Unterschied zwischen Gold und Bronze ist aber oft fast gar nichts. Wenn ich es auf das Podium schaffe, habe ich mich gut verkauft.“

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