| Interview "Nachwuchstrainer des Jahres"

Alexander Seeger: „Ich mache den Job aus Überzeugung und mit Freude“

Bei der Ständigen Konferenz Leistungssport in Darmstadt ist am Wochenende Alexander Seeger als „Nachwuchstrainer des Jahres“ ausgezeichnet worden. Der Sprint-Coach aus Gomaringen begleitet seit mehr als 25 Jahren Nachwuchs-Athletinnen auf ihrem Weg an die Spitze. In diesem Sommer führte er die 4x100-Meter-Staffel bei der U20-EM in Jerusalem (Israel) zum Titel. Im Interview erzählt Alexander Seeger von Glücksmomenten in seiner Trainerlaufbahn und den besonderen Stärken des Gold-Quartetts von Jerusalem.
Svenja Sapper

Alexander Seeger, was bedeutet Ihnen die Auszeichnung als „Nachwuchs-Trainer des Jahres“? 

Alexander Seeger:
Zum einen war ich überrascht, dass ich diese Ehrung bekommen habe. Zum anderen habe ich mich gefreut, weil es, glaube ich, nicht nur die Arbeit widerspiegelt, die ich in diesem Jahr geleistet habe, sondern auch die vielen Jahre davor. Es macht mich stolz und glücklich, dass diese Arbeit so wahrgenommen wird. 

Sie sind seit mehr als 20 Jahren für den Sprint-Kader im Nachwuchsbereich verantwortlich. Können Sie Ihren Werdegang kurz skizzieren? 

Alexander Seeger:
Meine Trainerlaufbahn als Bundestrainer begann damit, dass ich über meine erste „echte“ Sprinterin Alice Reuss als Heimtrainer mit Thomas Kremer Kontakt hatte. Das war 1997. Wir haben festgestellt, dass wir eine gute Basis haben und fachlich nicht weit auseinanderliegen, sodass er mich 1998 schon gefragt hat, ob ich mir die Betreuung des damaligen D/C-Kaders vorstellen könne. Ich habe zugesagt und bin danach mehr und mehr in die Rolle hineingewachsen, erst als Trainer des D/C-, dann des C-Kaders und jetzt für den NK1. Lange Zeit habe ich das mit Thomas zusammen gemacht, seit letztem Jahr hat Thomas wieder mehr Aufgaben im Erwachsenenbereich übernommen und ich arbeite eng mit Christopher Montague [NK 1 Bundestrainer Langsprint weiblich] zusammen. Zusammenarbeit und gegenseitige Unterstützung ist enorm wichtig. Ich habe diesen Job jetzt rund 25 Jahre und habe schon viel erlebt. Es waren tolle Jahre mit vielen Staffel-Erfolgen, leider auch zwischendurch mit Enttäuschungen. Als ich 1998 angefangen habe, hätte ich mir nie vorstellen können, dass ich den Job heute immer noch mache. Und immer noch so gern mache, aus Überzeugung und mit viel Freude. 

Was ist für Sie das Schönste am Trainerberuf? 

Alexander Seeger:
Etwas erreichen zu können. Junge Menschen mitentwickeln zu können, ihren Weg begleiten zu dürfen. Und auch dann, wenn es mal schwierige Zeiten gibt, versuchen, gemeinsam eine Lösung zu finden, die zum Ziel führt. Das Ziel ist es natürlich, vier strahlende Mädels auf dem Podium zu sehen. Darauf arbeitet man das ganze Jahr hin und freut sich darauf. Die Glücksmomente sind die Siegerehrungen, da empfindet man Stolz und Freude. 

Gibt es einen ganz besonderen Glücksmoment in Ihrer Trainerlaufbahn, an den Sie besonders gern zurückdenken? 

Alexander Seeger:
Natürlich der U20-Weltrekord 2017 in Grosseto [bei der U20-EM in der Besetzung Keshia Kwadwo, Katrin Fehm, Sophia Junk, Jennifer Montag; Anm. d. Red.] . Das war die schnellste jemals gelaufene Zeit zu diesem Zeitpunkt. Darauf war ich schon sehr stolz. 

Was ist das Wichtigste bei der Arbeit mit Athletinnen der Nachwuchs-Klasse?

Alexander Seeger:
Ich glaube, das Wichtigste ist es, Zugang zu ihnen zu bekommen und ihnen die Erfahrung mitzugeben, die ich mitbringe. Alle Athletinnen, die jetzt bei den Erwachsenen vorn dabei sind, sind durch meine Hände gegangen. Es geht darum, sie zu begleiten und ihnen den Weg dafür zu bereiten, oben anzukommen. Ich erinnere mich an Gina Lückenkemper, die im ersten U18-Jahr in den Kader gekommen ist und vier Jahre bei mir war. Da hatte ich vier Jahre die Chance, etwas vorzubereiten, was später auch dem Erwachsenenbereich zugutekommt. 

Eine große Herausforderung als Nachwuchs-Trainer im Sprint ist sicherlich, dass die Staffel-Besetzung häufig wechselt und immer wieder Leistungsträgerinnen aus der Nachwuchsklasse „herauswachsen“. Wie schaffen Sie es jedes Jahr aufs Neue, aus den nachkommenden Athletinnen ein eingeschworenes Team zu schmieden? 

Alexander Seeger:
Ich mache jedes Jahr im Herbst drei Lehrgangsmaßnahmen mit den neuen Kader-Athletinnen. Wir machen Ostertrainingslager, Staffel-Lehrgänge in Pliezhausen, in die wir ganz viel investieren. Ziel ist es, dass die Neuzugänge die Möglichkeit haben, reinzukommen, sich die Wechselfertigkeiten anzueignen. Es ist ein Entwicklungsprozess, bei dem auch mal was schiefgehen kann. Ab Beginn der Kaderzugehörigkeit wird das Thema Staffel bei jeder Maßnahme thematisiert. Meine Maßnahmen sind so ausgelegt, dass die Entwicklung der Staffel im Mittelpunkt steht, ohne die Entwicklung der Einzelleistung aus dem Auge zu verlieren.

Worauf legen Sie im Training besonderen Wert, was ist Ihre Trainingsphilosophie?

Alexander Seeger:
Ich lege Wert darauf, dass die Athletinnen sich im Technikbild möglichst optimal weiterentwickeln. Im Nachwuchsbereich arbeite ich sehr qualitativ, das heißt schnelligkeitsorientiert. Da habe ich auch dazugelernt. Zu Beginn meiner Trainerkarriere habe ich geglaubt: Viel hilft viel und hohe Umfänge machen die Leute schnell. Heute weiß ich: Die echten Sprint-Talente, die Hochbegabten brauchen nicht viel Training, sondern das richtige Training. Und das Augenmaß: Was kann ich technisch verändern? Ich warne eher davor, zu früh zu hohe Umfänge zu trainieren, ich glaube, das ist das Erfolgsrezept. 

In diesem Jahr haben Sie die 4x100-Meter-Staffel in Jerusalem abermals zum U20-EM-Titel geführt. Wie sah der Weg zum Erfolg aus, wann stand für Sie fest, welche Aufstellung am meisten Erfolg verspricht? 

Alexander Seeger:
Mir war früh klar, welche fünf, sechs Sprinterinnen voraussichtlich für den Staffelstart in Jerusalem infrage kommen. Wir sind schon Anfang Mai in Pliezhausen in der Besetzung gelaufen, die dann den Titel geholt hat. Ich hatte eine Vorahnung, wie es enden wird. Dass dann alle Sprinterinnen verletzungsfrei durch die Saison gekommen sind und die Idee, die ich hatte, umgesetzt werden konnte, war das eine. 

Und das andere? 

Alexander Seeger:
Das andere war, dass dieses Team toll harmoniert hat, dass die Ersatzläuferinnen vor Ort ihre Rolle angenommen haben. Wir wussten früh, dass die Besetzung optimal ist. Wenn du dann mit Chelsea Kadiri, mit Rosina Schneider, mit Holly Okuku außergewöhnliche Athletinnen auf den Positionen zwei bis vier hast, ist es relativ einfach festzulegen, wer den Job auf Nummer eins bekommt. Es war einfach, dieses Team einzustellen – aber nicht so einfach, Großbritannien im Finale zu schlagen.

Was zeichnet denn die vier Athletinnen im Besonderen aus? 

Alexander Seeger:
Zum einen, dass sie läuferisch dieses Jahr alle vier sehr gut waren. Und dass sie in der Situation des Finals, nach einem nicht ganz optimalen Vorlauf wussten, dass sie noch etwas drauflegen können. Die Athletinnen sind über sich hinausgewachsen, und das zeichnet ja auch ein gutes Team aus. 

Was haben Sie dem Quartett vor dem Finale noch als letzte Tipps mit auf den Weg gegeben? 

Alexander Seeger:
Ich habe gesagt, dass wir im Vorlauf bei jedem Wechsel ein bisschen zu defensiv agiert haben. Das war zu viel Sicherheit für ein Finale. Das reicht nur, um Zweiter zu werden. Aber wenn sie alles so anpacken, wie sie es gelernt haben, ein bisschen mutiger sind, ein bisschen aktiver ablaufen, dann üben wir Druck auf Großbritannien aus – und dann haben wir eine Chance. Rosina Schneider sagte dann: „Alex, wir haben das super analysiert. Ich möchte jetzt mit den drei anderen noch ein paar Minuten allein sein. Wir rocken das Ding!“ Sie haben das Gefühl entwickelt: Wir wollen heute etwas zeigen! Ich war sehr happy darüber, dass sie gemerkt haben, es besteht eine Chance, Großbritannien zu schlagen – weil sie es auch wollten. 

Worauf freuen Sie sich in den kommenden Jahren Ihrer Trainerlaufbahn? 

Alexander Seeger:
Ich möchte natürlich, dass wir nächstes Jahr bei der U20-WM in Lima wieder um eine Medaille laufen. Chelsea, Holly, Annika Just, Ksenia Helios, auch die noch jüngeren Jahrgänge – ich sehe da ganz viel Potenzial. Eine Medaille zu gewinnen, ist bei einer WM mit USA und Jamaika nicht automatisch einfach. Aber wenn wir eine Zeit um 43,50 Sekunden anbieten, dann sind wir im Kampf um die Medaillen dabei.

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