| Interview der Woche

Johannes Vetter: "Ich bin einfach ein Kämpfer"

97,76 Meter. So weit hat Johannes Vetter (LG Offenburg) den Speer in diesem Jahr geworfen und sich damit auf Platz zwei der Ewigen Bestenliste geschoben. Nach seinem letzten Wettkampf des Jahres beim ISTAF in Berlin spricht der 27-Jährige im Interview der Woche über seine Einstellung, Ziele, Trainer Boris Obergföll und Bambule in Berlin.
mw/sb

Johannes Vetter, die Saison ist für Sie nun beendet. Wie haben Sie die Wettkämpfe unter den Rahmenbedingungen der Corona-Pandemie erlebt?

Johannes Vetter:

Ich habe in den vergangenen Wochen einen guten Dreh gefunden, mit der Situation umzugehen. Wenn ich in Frankfurt am Flughafen stehe, muss ich auch auf mich und andere aufpassen, Maske tragen und Hände desinfizieren. Das ist nichts Neues. Man gewöhnt sich daran, das macht einen nicht wuschig. Es geht um uns alle. Die Maßnahmen sind daher vollkommen gerechtfertigt. Beim ISTAF wurden diese Maßnahmen sehr professionell umgesetzt, so habe ich es noch nirgends erlebt.

In Berlin waren 3.500 Zuschauer zugelassen. Wie war die Stimmung?

Johannes Vetter:

Wahnsinn, was 3.500 Fans für eine Bambule machen können. Das hat mich wirklich überrascht. Das war natürlich besser, als gar keine Zuschauer zu haben und vor allen Dingen viel besser, als gar keinen Wettkampf zu haben. Wir sind total dankbar dafür. Die Stimmung war top, die Fans haben mich getragen. Ansonsten wäre ich nicht in der Lage gewesen, nochmal 87 Meter zu werfen. Ein Riesenlob und großes Dankeschön an alle, die dieses Meeting möglich gemacht haben. Das ISTAF ist und bleibt das Aushängeschild der deutschen Leichtathletik.

Wie gehen Sie mit dem Hype um Sie um nach dem Wurf auf über 97 Meter in der vergangenen Woche in Polen? In Berlin wurden Schilder hochgehalten mit dem Schriftzug #VetterWurf.

Johannes Vetter:

Das ist ja mein Hashtag (lacht). Nach meinen 94 Metern und dem WM-Titel vor drei Jahren war es ähnlich. Man muss eine Balance finden. Ich darf mich nicht darauf ausruhen und denken, dass ich jetzt der Allergrößte bin. Wichtig ist, sich immer wieder weitere, größere, andere Ziele zu setzen. Daran arbeite ich.

Das hat dieses Jahr offensichtlich sehr gut geklappt.

Johannes Vetter:

Ich habe auch nach dem bombastischen Wettkampf mit den 97 Metern gesagt, dass ich die Spannung hoch halten möchte. Sonst hätte ich in Berlin keine 87 Meter geworfen und hätte mich schon an den Strand verabschiedet. Ich ruhe mich nicht aus auf meinem Erfolg, das zeichnet mich dieses Jahr noch ein bisschen mehr aus. Alle Anstrengungen haben sich gelohnt. Der vierte Sieg in Folge beim ISTAF ist gigantisch, ebenso der neunte Sieg in Folge dieses Jahr. Ich kann zufrieden in die Off-Season starten und mir Energie fürs kommende Jahr holen. Jetzt werde ich erstmal ein bisschen entspannen und endlich mal wieder gut schlafen. Am Sonntag habe ich mir noch Berlin angeschaut, dann geht’s in ein paar Kurzurlaube in die Wärme und zur Familie nach Dresden.

Wie blicken Sie mit einer Woche Abstand auf Ihren grandiosen Wurf zurück?

Johannes Vetter:

Das müsst ihr mich in einer Woche nochmal fragen (lacht). Ich habe die Spannung jetzt hochgehalten bis zum ISTAF. Das ist mental stressig. Aber ich wollte für die Leichtathletik alles mitnehmen. Neunter Sieg in Folge, vierter Sieg in Folge beim ISTAF – da musst du über das körperliche und geistige Limit drübergehen. Das reizt mich, die Grenzen auszuloten.

Wieviele Glückwünsche haben Sie erhalten?

Johannes Vetter:

Es gab so viele. Alle Weltklasse-Speerwerfer wie Tero Pitkämäki und Co. haben sich gemeldet, und natürlich auch die deutschen Jungs. Und viele mehr. Das Schönste ist, dass mein ganzes Team mir schreibt. Oder wenn Boris und Christina [Anm. d. Red.: Trainer Boris Obergföll und Frau Christina Obergföll, Speerwurf-Weltmeisterin von 2013] in die Kamera gucken wie eine Kuh, wenn es blitzt, weil sie nicht realisieren, was da gerade abgegangen ist. Das sind die schönsten Bilder, wenn ich Familie und Freunde vom Hocker hauen kann.

Wie haben Sie es trotz der Corona-Krise geschafft, nicht den Fokus zu verlieren in diesem Jahr?

Johannes Vetter:

Ich bin einfach ein Kämpfer, ein Fighter. Bis zum Schluss. Ich habe mir direkt bei den Absagen der Wettkämpfe neue Ziele gesetzt. Natürlich haben wir hoffen müssen, dass es überhaupt Wettkämpfe gibt in der Late Season. Ich habe trotzdem kontinuierlich weitergemacht und mir Ziele gesetzt. Diese waren so: Wenn die Late Season kommt, möchte ich Deutscher Meister werden, über 90 Meter werfen und Weltjahresbester sein. Das sind die drei höchsten Ziele, die ich mir stellen konnte. Ich habe sie innerhalb von drei Wettkämpfen erreicht und dann noch geschafft, einen draufzusetzen. Natürlich mit dem Hintergrund, dass alles, was ich mir in diesem Jahr erarbeitet habe, ein Fundament für nächstes Jahr ist.

Was waren die weiteren Gründe, warum Sie dich in diesem Jahr steigern konnten?

Johannes Vetter:

Ich war verletzungsfrei, hatte einen klaren Kopf und habe mir gemeinsam mit meinem Team eine klare Linie vorgegeben. Diesem großen Team gilt ein sehr großer Dank. In erster Linie meinem Trainer Boris Obergföll und meinem medizinischen Team. Nach der Fuß-Operation haben wir das sehr gut in den Griff bekommen. Die OP war notwendig und hat die erhofften Verbesserungen erbracht, vielen Dank und Gruß an den Chefchirugen der BGU Frankfurt Dr. Sebastian Manegold.

Wie wichtig ist das Team hinter dem Athleten?

Johannes Vetter:

Nur mit so einem Team, das dich optimal unterstützt, kannst du in Krisenzeiten das Beste draus machen und der Gesellschaft mit solchen Leistungen zeigen, dass etwas geht und dass man nicht den Kopf hängen lassen muss, egal wie schwer es ist. Natürlich beutelt es uns finanziell auch. Aber nicht so, dass ich mich beschweren müsste. Die Krise zehrt bei vielen an der Motivation. Deshalb wollte ich zeigen, dass dennoch solche Leistungen möglich sind. Sie sind hilfreich für den Nachwuchs und die Leichtathletik. Ich habe gute Werbung gemacht, das war auch ein Ziel. Aus solchen Zielen kann ich genauso viel Elan und mentale Stärke ziehen wie aus dem Ziel, Olympiasieger zu werden.

Welchen Anteil hat Ihr Trainer Boris Obergföll an Ihrem Erfolg?

Johannes Vetter:

Mit Boris habe ich nicht nur sportlich einen guten Draht. Wir sind ähnliche Typen, sind beide Kämpfer, machen beide auch mal den Mund auf, fahren beide immer klare Linie. Wir verstehen uns auch privat sehr gut. Er würde jetzt zum Spaß sagen, dass er mir nach den 97 Metern fast gar nichts mehr beibringen könnte.

Was kann er Ihnen denn noch beibringen?

Johannes Vetter:

Das müssen wir in Ruhe analysieren. Aber natürlich kann er mir beibringen, mich weiter runterzufahren und nicht im Training zu überpacen. Da ist er enorm wichtig, weil sonst Verletzungen zustande kommen. Ich muss gesund bleiben, um auf diesem Niveau weitermachen zu können. Dann kann ich international unschlagbar bleiben. Das ist unsere Hauptaufgabe. Boris kann mir mit seiner Ruhe und Geduld viel beibringen. Das haben wir Jahr für Jahr schon besser hinbekommen. Ansonsten ist er eine riesengroße mentale Stütze, sportlich wie privat. Er ist einer meiner ersten Ansprechpartner, in allen Dingen. Er weiß genau, wie er das Training steuert. Mein System ist bei uns beiden abgespeichert, wir kennen uns in- und auswendig. Riesenlob an ihn, an sein Einfühlungsvermögen, seine Arbeit ist grandios. Das hilft mir auch, mit dem Rummel gut zurechtzukommen. Nach dem WM-Titel 2017 war ich da vielleicht noch etwas zu unerfahren, daraus habe ich gelernt – mit Hilfe von Boris.

Haben Sie in der nächsten Saison mehr Druck?

Johannes Vetter:

Das ist alles eine Frage, wie man das angeht. Beim ISTAF haben auch alle einen neuen Meetingrekord und vielleicht über 95 Meter erwartet. Ich versuche aber, die Leute zu sensibilisieren. Wie mit dem Beispiel aus dem Fußball. Einen Speer so weit zu werfen, da gehört viel dazu. Man kann sehr viele Fehler machen, weil für einen guten Wurf einfach sehr viele Dinge zusammenpassen müssen. Ich lasse mir von außen keinen Druck machen, schlucke alles runter und muss mit mir am Ende zufrieden sein. So wie am Sonntag. Ich würde euch gerne mal meinen Körper geben, damit ihr mal reinschauen könnt, wie sich das anfühlt. Am Sonntag war ich definitiv zufrieden. Ich kann auch kürzeren Würfe etwas Gutes abgewinnen. Das ist auch wichtig für den Leistungsprozess.

Was haben Sie sich für 2021 vorgenommen?

Johannes Vetter:

Der Olympiasieg ist natürlich das große Ziel für nächstes Jahr. Mittelfristig reizt natürlich auch der Weltrekord. Aber da muss alles zusammenpassen. Ich habe ja schon erklärt, dass auch ein Wurf auf die jetzt erzielten 97 Meter nicht jeden Tag möglich ist und habe das mit einem Fußballer verglichen, der den Ball auch nicht bei jedem Schuss aus 30 Metern in den Winkel haut.

Nach Ihrem WM-Titel und den angesprochenen 94 Metern von 2017 haben Sie in den vergangenen beiden Sommern nicht an diese Leistungen anknüpfen können, natürlich auch aus Verletzungsgründen. Haben Sie jemals Zweifel gehabt, dass Sie nochmal auf dieses Niveau kommen?

Johannes Vetter:

Nein. Wenn ich ein Zweifler wäre, hätte ich diesen Sommer nicht diese Leistung bringen können. Wie gesagt, ich bin ein Kämpfer, ein Fighter.

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