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Der große Disziplin-Check 2019 – Hochsprung Männer

Die Wettkampfsaison 2019 ist Geschichte. Ein langes Jahr, ein spannendes Jahr Leichtathletik liegt hinter uns. Der Höhepunkt? Zweifelsohne die WM in Doha. Doch auch in der Halle und bei den internationalen Nachwuchs-Meisterschaften machten die deutschen Athleten von sich reden. Wir blicken in unseren jährlichen Disziplinanalysen zurück und ziehen Bilanz. Heute: der Hochsprung der Männer.
Silke Bernhart

Fazit des Bundestrainers

Hans-Jörg Thomaskamp, wie fällt Ihre Bilanz für das WM-Jahr 2019 aus?

Hans-Jörg Thomaskamp:

Eher bescheiden, nach einem sehr erfolgreichen EM-Jahr 2018. Im Aktiven-Bereich konnte sich nur Europameister Mateusz Przybylko für die WM qualifizieren, er punktete auch bei der Team-EM. Die weiteren EM-Teilnehmer Eike Onnen und Tobias Potye fielen verletzungsbedingt sehr frühzeitig aus bzw. konnten überhaupt nicht ins Geschehen eingreifen. Sehr bedauerlich, angesichts eines starken Einstiegs von Eike mit 2,26 Metern. Mit dieser Ausgangssituation wird für beide Athleten leider auch der Weg in Richtung Olympia-Qualifikation schwieriger.

Falk Wendrich hat nach einem fast vollständigen Ausfall in 2018 ebenfalls ein sehr heterogenes Jahr hinter sich. Die Hallensaison gestaltete sich zunächst sehr vielversprechend, im Laufe der Vorbereitung auf die Freiluftsaison konnte er in allen konditionellen Bereichen ein neues Niveau erzielen und im Laufe der Saison weiter ausbauen. Leider verletzte er sich leicht beim Saisoneinstieg. Das stellte sich dann zusammen mit weiteren Faktoren als ein schwerwiegender Bruch in der Leistungsentwicklung dar – er verlor sein sonst sehr ausgeprägtes Gefühl für seine Technik. Erst im letzten Wettkampf der Saison gelang mit 2,25 Metern wieder ein bemerkenswertes Ergebnis.

Bezüglich des IAAF-World Rankings sieht die Situation für Mateusz Przybylko sehr viel günstiger aus, dennoch muss man in seinem Fall ein sehr, sehr schwieriges Jahr resümieren. Im letzten Jahr noch zum EM-Helden aufgestiegen, gestaltete sich die Folgezeit auf verschiedenen Ebenen problematisch. Die veränderte Ausgangssituation überforderte ihn in mancherlei Hinsicht, sodass ein „normaler“, sauber geplanter Trainingsaufbau nur mit entscheidenden Einschränkungen realisierbar war, vor allem im koordinativ-technischen Bereich. Die Folge: enorme Unsicherheiten, große Schwankungen und mangelndes Selbstvertrauen. Dennoch: Auf der Habenseite stehen zwei Leistungen über 2,30 Meter, der Sieg beim ISTAF in Berlin gegen Weltklasse-Konkurrenz und zwei DM-Titel sowie die Teilnahme an Hallen-EM und WM. Unterm Strich glaube ich, er hat in diesem Jahr sehr viel gelernt, und er wird gestärkt aus dieser Saison hervorgehen.

Mit Jonas Wagner aus Dresden gibt es aber auch ein echtes Highlight in der Bilanz. Bereits zu Beginn der Saison steigerte er seine Bestleistung auf sehr gute 2,24 Meter und zeigte dort ein großes Entwicklungspotenzial auf der Basis eines sehr guten Technikansatzes. Bei der U23-EM erreichte er auf Anhieb das Finale und einen sehr beachtlichen sechsten Platz. Mit ihm wird mit großer Wahrscheinlichkeit künftig zu rechnen sein.

Nicht ganz so gut verlief die Saison für die beiden weiteren potentiellen U23-Springer. Lucas Mihota hatte mit ständigen Beschwerden am Sprungfuß zu kämpfen. Luca Meinke – im letzten Jahr noch mit einer Steigerung auf 2,21 Meter auf Platz fünf der U20-WM – konnte den positiven Trend unter anderem aufgrund eines unglücklichen Bänderrisses im Fuß leider ebenfalls nicht fortsetzen.

Was war für Sie das ganz persönliche Highlight?

Hans-Jörg Thomaskamp:

Ohne Zweifel das Erlebnis des Frauen-Weitsprung-Finales in Doha mit dem grandiosen Sieg von Malaika Mihambo. Neben der reinen Leistungsdarstellung über die Saison und der durchaus unter Druck realisierten Bestleistung – was an sich schon beeindruckend genug war – weist dieses Ereignis deutlich darauf hin, welch' starke Rolle der mentale Aspekt bei der Leistungsrealisation spielt.

Klar, eine Binsenweisheit. Der übergeordnete Aspekt ist allerdings der erfolgreiche, sehr persönliche Zu- und Umgang mit der komplexen Problematik des Verarbeitens der verschiedenen Ebenen der Erwartungshaltungen (der eigenen, wie der von außen herangetragenen), was sich besonders in Körpersprache und Wettkampfverhalten spiegelte. Hier sah man ein wirksames, individuelles Handlungskonzept umgesetzt.

Das zu beobachten faszinierte und inspirierte mich – nicht nur, weil ich persönlich als Trainer von Mateusz mit einer ähnlichen Situation konfrontiert war, die nur begrenzt und in wenigen Momenten ansatzweise beherrscht werden konnte, weil ein entsprechender Zugang zur Problematik erst im Saisonverlauf geschaffen und bearbeitet werden musste (und muss). Unter der Voraussetzung vollkommen unterschiedlicher Persönlichkeitsprofile verweist Malaikas Beispiel darauf, wie das funktionieren kann – und das gibt viel Rückenwind.

Worin sehen Sie die Aufgaben und Ziele für die kommende Saison mit den Olympischen Spielen 2020 in Tokio?

Hans-Jörg Thomaskamp:

Diese erschließen sich teilweise schon aus dem oben Angesprochenen. Die kritische Betrachtung und Analyse der vergangenen Saison zeigt, dass wir – um in die Erfolgsspur der letzten Jahre zurückzukehren – einen deutlich höheren Umfang an hochwertigen, wettkampfnahen Techniksprüngen realisieren müssen. Das setzt gesunde, belastbare Athleten voraus und einen flexiblen, individualisierten Trainingsplanungsprozess, flankiert von gut gesetzten diagnostischen Maßnahmen (mit Hilfe unserer Partner im Kompetenzteam), sowie klug platzierten Trainingslagerterminen. In diesen Abstimmungen befinden wir uns selbstverständlich, mit positiver, motivierter Grundhaltung aller Beteiligten.

Wenn es uns dann gelingt, über eine geschickte Wettkampfplanung die neuen Möglichkeiten der Qualifikation für die Olympischen Spiele über das IAAF-World Ranking zu nutzen, können wir es schaffen, wie in Berlin drei Athleten nach Tokio zu entsenden, mit zwei Finaleinzügen. Auf Weltniveau konnte in diesem Jahr keine besondere Entwicklung konstatiert werden. Anders ausgedrückt: Der Männer-Hochsprung stagniert hier auf hohem Niveau. Daher ist auch eine Medaille in Schlagdistanz – das ist das Ziel!

Internationale Erfolge 

  Medaillen (Weitere) Final-Platzierungen
WM  –  –
Hallen-EM  – 7. Falk Wendrich, 8. Mateusz Przybylko
U23-EM  – 6. Jonas Wagner
U20-EM  –  –
EYOF  –  –

Die deutschen Top Ten 2019

Höhe Name Jahrgang Verein
2,30 m Mateusz Przybylko 1992 TSV Bayer 04 Leverkusen
2,26 m Eike Onnen 1982 Hannover 96
2,25 m Falk Wendrich 1995 LAZ Soest
2,24 m Jonas Wagner 1997 Dresdner SC 1898
2,20 m Bastian Rudolf 1995 Dresdner SC 1898
2,20 m Raul Spank-Goslinowski 1988 LG Nord Berlin
2,18 m Lucas Mihota 1999 LG Stadtwerke München
2,17 m Torsten Sanders 1994 Weseler TV
2,12 m Finn Drümmer 1996 Kaltenkirchener TS
2,12 m Manuel Marko 1994 MTV 1881 Ingolstadt
2,12 m Chima Ihenetu 2000 SC Neubrandenburg
2,12 m Benno Freitag 1995 SSV Ulm 1846

Statistik – Das sagen die Zahlen

Das deutsche Top-Niveau

Jahr 2,28 m
(WM-Norm 2017)
Schnitt Top 3 Schnitt Top 5 Schnitt Top 10
2005 1 2,27 2,25 2,19
2006 - 2,25 2,23 2,19
2007 1 2,28 2,25 2,21
2008 2 2,29 2,26 2,22
2009 1 2,28 2,26 2,22
2010 1 2,27 2,25 2,21
2011 2 2,30 2,26 2,22
2012 - 2,25 2,24 2,21
2013 - 2,23 2,22 2,18
2014 - 2,24 2,23 2,19
2015 2 2,29 2,27 2,20
2016 1 2,27 2,24 2,20
2017 1 2,31 2,28 2,22
2018 1 2,30 2,27 2,23
2019 1 2,27 2,25 2,17

Jahresbestleistungen im internationalen Vergleich

Jahr Deutschland Europa Diff. Welt Diff.
2005 2,30 (Fricke) 2,38 (Sokolovskyy/UKR) 0,08 2,38 (Freitag/RSA; Sokolovskyy/UKR) 0,08
2006 2,28 (Onnen) 2,37 (Silnov/RUS) 0,09 2,37 (Silnov/RUS) 0,09
2007 2,34 (Onnen) 2,35 (Holm/SWE; Rybakov/RUS; Ioannou/CYP) 0,01 2,35 (Thomas/BAH; Holm/SWE; Rybakov/RUS; Ioannou/CYP) 0,01
2008 2,32 (Spank) 2,38 (Silnov/RUS) 0,06 2,38 (Silnov/RUS) 0,06
2009 2,33 (Spank) 2,35 (Ukhov/RUS; Rybakov/RUS) 0,02 2,35 (Manson/USA; Ukhov/RUS; Rybakov/RUS) 0,02
2010 2,30 (Spank) 2,36 (Ukhov/RUS) 0,06 2,36 (Ukhov/RUS) 0,06
2011 2,32 (Spank) 2,36 (Dmitrik/RUS; Shustov/RUS) 0,04 2,37 (Williams/USA) 0,05
2012 2,26 (Onnen) 2,39 (Ukhov/RUS) 0,13 2,39 (Ukhov/RUS; Barshim/QAT) 0,13
2013 2,24 (Günther; Przybylko) 2,41 (Bondarenko/UKR) 0,17 2,41 (Bondarenko/UKR) 0,17
2014 2,25 (Günther) 2,42 (Bondarenko/UKR) 0,17 2,43 (Barshim/KAT) 0,18
2015 2,32 (Onnen; Przybylko) 2,37 (Bondarenko/UKR) 0,05 2,41 (Barshim/KAT) 0,09
2016 2,32 (Onnen) 2,39 (Tamberi/ITA) 0,07 2,40 (Barshim/KAT) 0,08
2017 2,35 (Przybylko) 2,38 (Lysenko/ANA) 0,03 2,40 (Barshim/KAT) 0,05
2018 2,35 (Przybylko) 2,40 (Lysenko/ANA) 0,05 2,40 (Barshim/KAT; Lysenko; ANA) 0,05
2019 2,30 (Przybylko) 2,35 (Nedasekau/BLR; Akimenko &  Ivanyuk/ANA) 0,05 2,37 (Barshim/KAT) 0,07

Das fällt auf

  • Die deutsche Topleistung ist seit Jahren international konkurrenzfähig. Auch 2019 lag der Jahresbeste Mateusz Przybylko nur fünf bzw. sieben Zentimeter hinter der europäischen und Weltspitze zurück.
  • Doch nicht nur der Europameister tat sich 2019 schwer. Auch dahinter konnten viele DLV-Athleten aus unterschiedlichen Gründen nicht ihr Potenzial ausschöpfen. So hängen die Durchschnittswerte der Top Drei und Fünf hinter denen der vorherigen beiden Jahre zurück, der Top-Ten-Durchschnitt war 2019 gar der niedrigste seit Beginn unserer Auflistung im Jahr 2005.
  • Der deutsche Hochsprung ist eine interessante Mischung aus Routiniers und Youngstern: Eike Onnen behauptete mit seinen 37 Jahren einen Platz in den Top Zwei, auch Raul Spank-Goslinowski schwang sich als Freizeit-Athlet im Alter von 31 Jahren noch über 2,20 Meter. Den Ton dürften aber neben Mateusz Przybylko in Zukunft die Athleten der Jahrgänge 1995 und jünger angeben, unter anderem mit dem 24-jährigen Falk Wendrich auf der Suche nach dem Einklang von Power und Technik und dem 22-jährigen Jonas Wagner auf dem Vormarsch.
  • International sorgte Mutaz Essa Barshim für den emotionalen Höhepunkt: 15 Monate nach seiner schweren Fußverletzung war er pünktlich zur Heim-WM wieder in starker Form und feierte in Doha einen stimmungsvollen Heimsieg.
  • Der Katari stellte dabei mit 2,37 Metern die Jahresbestleistung auf – die damit zum ersten Mal seit sechs Jahren wieder unter 2,40 Meter rutschte. Es ist zugleich für Mutaz Essa Barshim selbst die erste Saison ohne 2,40 Meter-Sprung seit 2012.
  • Auch in Europa lag das Niveau 2019 unter dem der Vorjahre. Erstmals seit zehn Jahren reichte eine Höhe von 2,35 Metern für das Top-Ergebnis des Jahres.

Die Disziplin-Analysen im Überblick:

Sprint Männer
Sprint Frauen
Langsprint Männer
Langsprint Frauen
Mittelstrecke Männer
Mittelstrecke Frauen
Langstrecke Männer
Langstrecke Frauen
Hürdensprint Männer
Hürdensprint Frauen
Langhürden Männer
Langhürden Frauen
Hindernislauf Männer
Hindernislauf Frauen
Gehen Männer
Gehen Frauen

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